Arbeit 4.0: Damit die digitale Revolution nicht ihre Kinder frisst
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Die Debatte über Weiterbildung erfährt eine Blütezeit. Wissenschaft und Politik tüfteln an neuen Lösungen – Praktiker freuen sich, dass ihre Erfahrungen stärker Gehör finden.
Andrea Nahles und Martin Schulz schlagen mit dem ALG Q ein Konzept vor, in dem die Dauer einer Qualifizierung nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird – die staatliche Unterstützung kann damit deutlich ausgebaut werden.
Diese zeitgemäße Fortentwicklung der Weiterbildung setzt an drei zentralen Herausforderungen an: den Zugang zu Weiterbildung zu öffnen, die notwendigen Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt zu vermitteln und Weiterbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu organisieren.
Weiterbildung für Geringqualifizierte
Bei der Verteilung von Zugangschancen hapert es noch gewaltig. Eine aktuelle Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Februar dieses Jahres zeigt auf: Von Weiterbildung profitieren in erster Linie diejenigen, die etabliert in starken Branchen mit beiden Beinen in der Arbeitswelt stehen. Geringqualifizierte und Arbeitslose gehen häufig leer aus.
Gerade Geringqualifizierte und Ältere sowie prekär Beschäftigte werden in der betrieblichen Weiterbildung außen vor gelassen. Dabei könnten sie besonders von geförderter Weiterbildung profitieren. Ihre Ausgangsqualifikation entwertet sich besonders schnell, und mit individuellen Bildungsangeboten könnten sich ihnen neue berufliche Optionen eröffnen. So kann etwas geboten werden, was bisher häufig fehlt: die Sicherheit, eine berufliche Neuorientierung motiviert anstreben zu können. Ein ALG Q setzt dort an, wo betriebliche Weiterbildungsstrukturen versagen.
Anforderungen der Arbeit 4.0
Die digitale Revolution schafft neue Rahmenbedingungen für Beschäftigte und Unternehmen. Die wachsende Vernetzung und zunehmende Kooperation von Mensch und Maschine durchdringt und verändert Arbeitsweisen. Einzelne Tätigkeiten und Qualifikationen werden gänzlich verschwinden, andere neu hinzukommen.
Für die Beschäftigten stellen die Entwicklungen in Richtung Digitalisierung und Arbeit 4.0 ohnehin hohe Anforderungen an ihre Weiterbildungsbereitschaft. Menschen in Phasen der Arbeitslosigkeit mit Weiterbildung zu unterstützen, (Fach)Kompetenzen aktuell zu halten und neue zu erwerben wird entscheidend sein, um diese Entwicklungen zu meistern.
Neben der betrieblichen und individuellen Bedeutung von Weiterbildung liegt sie auch im öffentlichen Interesse. Bisher wird Weiterbildung oft als Privataufgabe verstanden, der sich Beschäftigte eigenverantwortlich stellen und die sie häufig selbst finanzieren müssen. Der Wandel der Arbeitswelt macht jedoch deutlich: Dieses Verständnis wird künftig nicht mehr funktionieren. Weiterbildung ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – der wir noch nicht annähernd gerecht werden.
Nachhaltige Weiterentwicklung
Neuere Studien zeigen, dass sich umfangreiche Qualifizierung auszahlt – für die individuelle Lebensbiografie und für die Gesellschaft. So sollte eine qualifizierte, abschlussbezogene Weiterbildungsförderung Vorrang vor kurzfristigen Maßnahmen bekommen, wie etwa die Hans-Böckler-Stiftung fordert. Auch hier würde das ALG Q greifen, das nicht in kurzfristige Maßnahmen sondern nachhaltige berufliche Weiterentwicklung investiert und so einen Kulturwandel in Deutschland unterstützt.
Dabei dürfen Arbeitgeber jedoch nicht gänzlich aus ihrer Verantwortung entlassen und die betriebliche Weiterbildung nicht aus dem Blick verloren werden. Hier sind Betriebsräte und Gewerkschaften der Garant für mitbestimmte Weiterbildungsstrukturen.
In einer Studie des MIT Institutes zu den Folgen der Digitalisierung, an der knapp 2000 Betriebsräte teilgenommen haben, schätzten mehr als zwei Drittel der Befragten den Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarf in ihrem Unternehmen als stetig steigend ein.
Um ihre Rolle als aktive Gestalter der Arbeitswelt verteidigen zu können, müssen sich Betriebsräte also stärker in die Entwicklung und Ausarbeitung von betrieblichen Weiterbildungsstrukturen einmischen. Die Entscheidung darüber, welche Qualifikationen ihre Kolleginnen und Kollegen brauchen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, sollte nicht allein dem Arbeitgeber überlassen werden.
leitet das Hauptstadtbüro des MIT Institutes für Mitbestimmung, Innovation und Transfer