Inland

Antiterrordatei mit Grundgesetz vereinbar

von Dirk Farke · 24. April 2013

Karlsruhe. Zumindest eine kleine Überraschung hinterließ die Urteilsverkündung durch Ferdinand Kirchhof, Vorsitzender des Ersten Senats, auf den Gesichtern der meisten  Pressevertreter in den Räumlichkeiten des obersten deutschen Gerichts. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) muss seinen „entscheidenden Baustein der Sicherheitsarchitektur“, das Antiterrordateigesetz (ATDG), nur in einigen wenigen Punkten abändern, die allerdings dazu führen, dass die Staatskasse die Prozesskosten zu übernehmen hat.

Auffallend in diesem Urteilstext ist die häufige Verwendung des Begriffes „große Bedeutung der Terrorismusabwehr“. Ihr messen die Verfassungshüter einen außerordentlich hohen Stellenwert bei, einen Stellenwert, der auch Eingriffe in elementare Grundrechte, wie die informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf effektiven Rechtsschutz, das Fernmeldegeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigen.

"Teilweise verfassungswidrig"
Zwar werden durch die uneingeschränkte Einbeziehung von Daten in die ATD zumindest die letzten beiden Grundrechte, Artikel 10 und 13 des Grundgesetzes, verletzt, und von der Polizei erhobene Daten dürfen deshalb nicht uneingeschränkt über die ATD an die Behörden weitergegeben werden. Doch selbst diese „teilweise Verfassungswidrigkeit“ führt nicht zur Nichtigkeit der entsprechenden Regelungen des ATDG, sondern nur zur „Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz“. 

Angesichts des besonderen Schutzgehaltes dieser Grundrechte, gelten hier besonders strenge Anforderungen, lautet die Begründung des ersten Senats für diese Handhabung. Auch hat der Gesetzgeber eine verhältnismäßig lange Frist, bis zum 31. Dezember 2014 dürfen die entsprechenden Vorschriften weiter angewendet werden, bis zu einer Neuregelung.

Eine wichtige Frage in dieser Verfassungsbeschwerde lautete, ob die ATD gegen das Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizei verstößt, weil letztere so an Informationen gelangen, die sie gar nicht erheben dürfen. Dies war nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrorregimes eine der Auflagen, die die Besatzungsmächte dem neuen Rechtsstaat auferlegten, um eine neue geheime Staatspolizei zu verhindern.

Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizei "nur ausnahmsweise zulässig"
Die Verfassungshüter argumentieren hier, dass der in der Verbunddatei angelegte Informationsaustausch zwar gegen das „grundrechtliche informationelle Trennungsprinzip verstoße“, dieses Trennungsprinzip könne jedoch wegen des „hohen Gewichts der Terrorismusbekämpfung für Gesellschaft und Staat in der Antiterrordatei zurücktreten“. 

Wegen „der großen Bedeutung der Terrorismusbekämpfung“ bestünde selbst gegen eine Nutzung erweiterter Grunddaten im Eilfall keine Bedenken. Aber immerhin, der Senat kommt nicht umhin hier festzustellen, dass es sich bei dem Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden „für ein operatives Tätigwerden“, um einen besonders schweren Eingriff handelt. Dieser sei „nur ausnahmsweise zulässig“ und müsse zudem „einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen“.

Unregulierte Stigmatisierung möglich
Fehlende Legaldefinition der Begriffe „Terrorismus“ und „Gewalt“, das Fehlen wissenschaftlicher oder sonstiger Nachweise, dass Antiterrorlisten einen messbaren Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leisten, oder die Tatsache, dass ein Eintrag in die ATD, selbst wenn er falsch, unberechtigt oder veraltet ist, zu einer unregulierten Stigmatisierung führt, gegen die Betroffene keine Abwehrmöglichkeiten haben, alle die Argumente, die in der mündlichen Verhandlung von Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), die auch heute zur Urteilsverkündung nach Karlsruhe kam, vorgetragen wurden, haben nach diesem Urteil hinter „der großen Bedeutung der Terrorismusbekämpfung“ zurückzustehen.

Um die Sicherheit möglichst vieler zu gewährleisten, ist es somit auch weiterhin möglich, dass einige wenige, die, sei es zu unrecht oder nicht, ins Visier der Nachrichtendienste geraten sind, einen „kafkaesken Alptraumroman“ (Constance Kurz) durchleben müssen. Vor allem auch deshalb, weil die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich keine Ahnung haben, welche der zur Zeit mehr als 60 an der ATD beteiligten Polizeibehörden und Nachrichtendienste Daten über sie gespeichert haben.

Einen Anlass das ATDG vorab vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüfen zu lassen, sah der erste Senat nicht. Das Gesetz verfolge innerstaatlich bestimmte Ziele, die „das Funktionieren der unionsrechtlich geordneten Rechtsbeziehungen“ nur mittelbar beeinflussen könnten. Europäische Grundrechte seien deshalb von vornherein nicht anwendbar. Diese Entscheidung fasste der Senat einstimmig, die übrigen teilweise nur mit Gegenstimmen.

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