Inland

Anetta Kahane: „Deutschland hat gepennt“

Der Brandanschlag von Tröglitz ist zwar auch Ergebnis einer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, aber nicht nur: Die Welt hat sich verändert, die weiße priviligierte Oberschicht in Europa denkt aber immer noch in alten rassistischen Klischees, kritisiert die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta Kahane.
von Sarah Schönewolf · 8. April 2015
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Sigmar Gabriel hat den Brandanschlag in Tröglitz als Ergebnis einer bewussten Stimmungsmache gegen Flüchtlinge bezeichnet. Schätzen Sie das auch so ein?

Ja, das ist schon so. Gerade in Tröglitz ist es neben der bewussten Stimmungsmache aber auch der Wunsch zu eskalieren. Das hat schon eine neue Qualität: Die Rechten gefallen sich in der Aufmerksamkeit, die sie da gerade bekommen und sie wollen für sich selbst Reklame machen, aber sie wollen auch einschüchternd.

Ist Sachsen-Anhalt ihrer Einschätzung nach ein Pflaster wo rechtes Gedankengut besonders gut gedeiht?

Nein. Auch in Sachsen-Anhalt wächst es besonders gut, aber es gedeiht nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern es ist ein Phänomen, was wir überall erleben. Wir haben in diesem Jahr schon 25 Übergriffe auf Heime und 22 gewalttätige Straftaten registriert. Das ist ein bundesweites Phänomen.

Wie erklären Sie sich diese Zunahme von rechter Gewalt?

Das ist ja nicht nur rechte Gewalt, sondern das ist rassistische Gewalt insgesamt und das hat damit zutun, dass die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur auf Verständnis stößt. Die NPD und die Rechtsextremen stürzen sich schon seit langem auf diese Themen, um die Einwohner zu mobilisieren und hier Ängste zu schüren. Es gibt nach wie vor sehr viel Rassismus in Deutschland und mit diesen Vorurteilen und Stereotypen lässt sich dann gut Stimmung machen.

Viele Politiker fordern nachdem Brandanschlag ein stärkeres zivilgesellschaftliches Engagement. Ist das Ihrer Ansicht nach der richtige Weg um ein Umdenken zu erreichen?

Naja, nicht nur. Man kann jetzt nicht fordern, dass die Zivilgesellschaft jetzt mal machen muss.  Erstens gehören Politiker ja zur Zivilgesellschaft. Das heißt, das ist keine Frage, die die jeweils Anderen betrifft, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Frage.

Zweitens kann die Zivilgesellschaft alleine nicht nachholen, was in den letzten vierzig bis fünfzig Jahren in Deutschland verpennt wurde. Nämlich die ganzen Fragen, wie man Einwanderung gestaltet, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, sind Menschen mit nicht-deutschem Namen auch Deutsche und wie ist das überhaupt mit den Migranten? In diesen ganzen blödsinnigen Fragen schwingen jede Menge Rassismus und Vorbehalte mit und denen hat sich die Politik ganz lange nicht gestellt, sondern so getan als könnte man das ganze auch wieder rückgängig machen und als würden die Menschen auch wieder gehen.

Das heißt, wir müssen an die grundlegenden Fragen von Identität und Willkommenskultur ran...

Ja, aber wir müssen uns auch klarmachen, dass die Welt heute eine andere ist. Die globale Mittelschicht, das Erleben von Nachrichten in Echtzeit, diese Selbstverständlichkeit, das man Freunde von überall hat –  diese neue Welt ist nicht das Ergebnis einer deutschen Entwicklung, sondern der Rest der Welt hat sich verändert und zwar schneller, als sich die Gesellschaft hier verändert hat.

Die weiße, privilegierte Oberschicht aus Europa ist so selbstgefällig und zwar in einer Weise, wie die Welt nicht mehr tickt. Dazu gehört die europäische Vorstellung vom bettelarmen Migranten, der ohne alles flieht und da wird sich jetzt darüber echauffiert, dass die Menschen, die fliehen ja Geld haben, um ihre Reisen zu bezahlen. Aber natürlich kostet so eine Reise nach Europa Geld. Die Menschen sind empört, wenn Flüchtlinge keine Hungerbäuche haben und nicht ihrem Bild entsprechen. Oder nehmen sie die Wortwahl: heute sprechen wir von Schlepperbanden und die  Menschen machen das gleiche, wie jene, die früher im Osten als Fluchthelfer bezeichnet wurden.

Diese paternalistische und rassistische Sicht, dass wir der dritten Welt was abgeben müssen, ist doch völlig verschoben, aber in der Perspektive der Europäer – Rechte wie Linke - immer noch verankert und hier muss sich was ändern.

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Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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