Andrea Nahles: Lohndrückerei akzeptieren wir nicht
Dirk Bleicker
Frau Nahles, Sie wollen mit einem Gesetz den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträge begrenzen. Wo gibt es die meisten schwarzen Schafe?
Der Missbrauch ist nicht auf einzelne Branchen begrenzt. Zwar hat sich die Fleischindustrie hier in der Vergangenheit einen besonders schlechten Ruf erworben, doch Missbrauch ist auch in anderen Bereichen zu finden, im Handel, in Wäschereien oder in Möbellagern. Es gibt Fälle, da werden ganze Nachtschichten durch Werkvertragsarbeitnehmer ersetzt.
Gegen das Gesetz gibt es Widerstand von Arbeitgebern und der Union. Beide behaupten, ihr Entwurf würde über die Koalitionsvereinbarung hinausgehen. Was sagen Sie dazu?
Ich habe mich bewusst strikt an die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag gehalten. Aber genau wie beim Mindestlohn stoßen wir hier in ein Wespennest. Mittlerweile kann man schon am Getöse messen, wie wichtig und richtig das Gesetz ist. Man kann die Union am Ende des Tages nur auffordern, vertragstreu zu sein. Sicherlich kann man auch über Details streiten. Aber der Kern ist fest vereinbart und muss bleiben.
Der Kern heißt: Leiharbeit darf nicht missbraucht werden, um in den Betrieben Löhne zu unterlaufen. Leiharbeiter können künftig nicht unbegrenzt bei einem Entleiher eingesetzt werden. Nach 18 Monaten muss grundsätzlich die Entscheidung fallen, ob derjenige übernommen werden soll. Werden diese Regeln nicht eingehalten, gilt der Leiharbeiter dann automatisch als Arbeitnehmer des Entleihers. Es gibt meistens keinen Grund dafür, Menschen acht oder neun Jahre als Leiharbeiter zu beschäftigen, außer dass man Löhne drücken will. Lohndrückerei werde ich aber nicht die Hand reichen.
Die Unternehmen wehren sich gegen die Tariföffnungsklausel, die es Firmen mit Tarifbindung erlaubt, Leiharbeit über die 18-Montsfrist hinaus zu erweitern. Warum ist Ihnen diese Klausel so wichtig?
Wir sagen: Diejenigen, die Tarifverträge machen, haben mehr Flexibilität. Wir wollen damit einen Anreiz für Tarifbindung schaffen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Politik, die ich mache. Für die, die sich selber an den Tisch setzen und verhandeln, muss ich gesetzlich weniger regeln. Das ist passgenauer für den einzelnen Betrieb und stärkt die Sozialpartnerschaft.
Der Vorwurf lautet, Sie würden eine Tarifbindung erzwingen wollen?
Nein, das will ich nicht, denn zur Not greift die gesetzliche Regelung. Aber ich setze Anreize, weil sich immer mehr Arbeitgeber aus den Tarifverträgen verabschieden. In Ostdeutschland sind von der metallverarbeitenden Industrie 70 Prozent OT, ohne Tarifvertrag. Diese Entwicklung ist besorgniserregend.
Für Unruhe sorgten auch die Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arbeitsverhältnis und Werkvertrag. Gibt das Gesetz da klare Regeln vor?
Wir brauchen zum Schutz der Arbeitnehmer eine klare Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Tätigkeit. Deshalb definieren wir im Gesetz, wer Arbeitnehmer ist und somit ein Arbeitsvertrag vorliegt. Hierzu haben wir Leitsätze der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung 1:1 übernommen. Das Gesetz soll Orientierung geben für den Zoll, der kontrolliert, aber auch für die Unternehmen selbst. Wir wollen Werkverträge nicht abschaffen. Aber wenn wir Werkverträge als ein wichtiges Flexibilitätsinstrument auf dem Arbeitsmarkt beibehalten wollen, dann müssen sie sauber sein. Daran sollten auch die Arbeitgeber ein Interesse haben.
Es gibt Stimmen, die für Flüchtlinge Ausnahmen fordern, ebenso wie beim Mindestlohn. Was sagen Sie? Absolutes Nein?
Mindestlohnausnahmen für Flüchtlinge wären gefährlicher Unsinn. Einheimische und Flüchtlinge dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Leiharbeit kann eine integrierende Funktion haben, wenn wir dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen fairer werden. Wir haben es gesetzlich nun ermöglicht, dass Geduldete und Asylbewerber schon 15 Monate nach Ankunft in die Leiharbeit gehen können, bis vor kurzem noch mussten sie vier Jahre warten. Ich bin da pragmatisch, aber sehe darin auch nicht den Königsweg. 50 Prozent der Menschen, die zu uns kommen sind unter 25. Denen sollten wir Besseres bieten als Leiharbeit, nämlich Ausbildung und Qualifizierung. Die können wir hier gut gebrauchen als Fachkräfte.
Wie viele Menschen werden von dem Gesetz profitieren?
Wir haben über 900.000 Leiharbeiter in Deutschland. Dagegen wissen wir über die Anzahl von Werkverträgen leider sehr wenig. Deswegen wollen wir mehr Licht in diese Grauzone bringen. Es braucht Klarheit darüber, wer auf dem Betriebsgelände auf welcher vertraglichen Basis arbeitet. Künftig wird es eine Informationspflicht der Firmenleitung an die Betriebsräte geben.
Mehr zum Thema: Union blockiert Leiharbeits-Gesetz
node:vw-infobox
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.