Amnesty Experte Bosch: „Rassismus spaltet die Gesellschaft“
Thomas Imo/photothek.net
Die Anschläge von Würzburg und Ansbach haben Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik entfacht. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Klar ist, dass die beiden mutmaßlichen Täter als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Dass ihre Taten eine generelle Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik ausgelöst haben, ist aus meiner Sicht aber nicht nachzuvollziehen. Die meisten Menschen, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen sind, fliehen vor solchen Anschlägen, die in ihrer Heimat Angst und Schrecken verbreiten. Wir dürfen Flüchtlinge nicht gegeneinander ausspielen und vor allem dürfen wir nicht den Fehler machen, als Konsequenz aus den Taten, das Recht auf Asyl einzuschränken. Das Asylrecht ist ein Menschenrecht und muss unter allen Umständen gewahrt bleiben.
Die CSU fordert, abgelehnte oder straffällig gewordene Asylbewerber auch in Krisengebiete abzuschieben. Wie stehen Sie dazu?
Das geht unter gar keinen Umständen! Das Völkerrecht ist in diesem Punkt auch ganz klar: Man darf keinen Menschen dorthin abschieben, wo ihm Menschenrechtsverletzungen, Folter oder gar der Tod drohen. Wer in Deutschland straffällig wird, muss nach geltendem Recht verurteilt werden und seine Strafe in einem deutschen Gefängnis absitzen. Die Menschenrechte sind ein zivilisatorischer Fortschritt, der nach dem Zweiten Weltkrieg hart erarbeitet wurde. Sie dürfen für eine scheinbare Sicherheit nicht leichtfertig geopfert werden.
Nicht nur Flüchtlinge, sondern Muslime allgemein stehen nach den Bluttaten der vergangenen Tage unter einer Art Generalverdacht. Was kann man dagegen tun?
Nicht nur Muslime werden in Deutschland zurzeit massiv diskriminiert, auch Schwarze und andere Menschen, die anders aussehen oder sich anders Verhalten als die Mehrheit der Gesellschaft. Es gibt auch weiterhin täglich Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. Vermeintliche Ausländer werden auf offener Straße beleidigt oder sogar angegriffen, obwohl viele von ihnen in Deutschland geboren wurden und einen deutschen Pass haben. Da muss die Bundesregierung dringend handeln. Wobei ein Teil des Problems auch von deutschen Behörden ausgeht.
Wie meinen Sie das?
Es gibt starke Hinweise auf institutionellen Rassismus in Deutschland. Der Europarat hat auch schon deutliche Kritik geübt. Besonders offensichtlich ist das ja bei den Ermittlungen rund um die Taten des NSU geworden, als die Ermittlungsbehörden von Tätern im Umfeld der Opfer ausgegangen sind und einen rassistischen Hintergrund kategorisch ausgeschlossen haben. Aber auch aktuell gelingt es der Polizei nicht immer, diskriminierungsfrei zu arbeiten. Pauschalisierungen kultureller oder regionaler Herkünfte sind an der Tagesordnung. Leider werden diese Formen von institutionellem Rassismus von der Bundesregierung nicht erkannt. Sie behauptet, es gebe ihn gar nicht.
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Woran liegt das?
Das Problem ist, dass Menschen unterschiedliche Dinge unter dem Begriff Rassismus verstehen. Rassismus ist aber vielfältig. Nicht jede Person in einer Organisation muss ein Rassist sein, damit die ganze Organisation rassistisch handelt. Eine Institution handelt dann strukturell rassistisch, wenn sie nicht in der Lage ist, Menschen, die von Rassismus betroffen sind, angemessen und professionell zu behandeln. Dieser institutionelle Rassismus kann in Abläufen, Einstellungen und Verhaltensweisen sichtbar werden, die durch unbewusste Vorurteile, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotype der Mitarbeitenden zu Diskriminierung von Menschen führt. Dem kann man nur entgegenwirken, wenn man das eigene Handeln und das Handeln der Institution reflektiert. Amnesty findet deshalb eine unabhängige Untersuchung wichtig, die der Frage nachgeht, inwieweit es institutionellen Rassismus in Polizei und Untersuchungsbehörden gibt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte könnte so etwas leisten.
Der Vater eines der Opfer in München hat sich nach dem Attentat beklagt, er werde immer wie ein Ausländer behandelt, obwohl er in Deutschland geboren wurde. Wie kommt es zu solch einer Diskriminierung in der Gesellschaft?
Die Aussage unterstreicht, dass wir schon lange ein Rassismus-Problem in Deutschland haben. Es ist historisch gewachsen und zeigt sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Oft nehmen wir den Rassismus gar nicht richtig wahr, weil bestimmte Ausdrücke für uns selbstverständlich sind. Wenn es etwa zu einem Übergriff auf Menschen mit Migrationsgeschichte kommt, ist stets von fremdenfeindlichen Angriffen die Rede. Dass die betroffenen Menschen häufig in Deutschland geboren wurden und gar keine Fremden sind, wird dabei ausgeblendet.
Abschließend: Was bedeutet Rassismus für unsere Gesellschaft?
Rassismus ist gesellschaftlich genauso gefährlich wie zum Beispiel der Islamismus. Rassismus spaltet die Gesellschaft und führt dazu, dass Menschen sich gegenseitig misstrauen. Das ist eine Gefahr für uns alle.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.