Inland

Altersvorsorge: Warum Verbraucherzentralen von Riester abraten

Mit der Riester-Zulage werden schlechte Produkte staatlich gefördert, sagt Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale. Aus ihrer Sicht wäre den Menschen vor allem mit einer starken gesetzlichen Rente gedient. Das sind ihre Empfehlungen.
von Vera Rosigkeit · 11. Februar 2020

Frau Mohn, würden Sie derzeit einen Abschluss für eine Riester-Rente empfehlen?

Einen Neuabschluss würde ich eher nicht empfehlen. Es sei denn, die staatlichen Zulagen sind sehr hoch. Gleichzeitig möchte ich betonen, wer heute bereits einen Riester-Vertrag hat, sollte diesen nicht vorschnell kündigen. Ob eine Kündigung sinnvoll ist, sollte gründlich geprüft werden.

Wo sehen sie generell das Problem an Riester?

Die Verbraucher erhalten mit Riester keine ausreichend guten Produkte. Vor mehr als 20 Jahren wurde entschieden, die gesetzliche Rente abzusenken. Damit verbunden war der Appell, mehr privat vorzusorgen, flankiert mit einer staatlichen Förderung namens Riester-Zulage. Leider hat man damals auch entschieden, die Produktqualität alleine dem Markt zu überlassen. Diese Entscheidung war fatal. Das Ergebnis unserer Analyse ist, dass das nicht funktioniert hat. Riester-Produkte, die Verbrauchern verkauft werden, sind überwiegend zu teuer. Zudem ist die Kapitalanlage durch die Kapitalerhaltungsgarantie, die laut Gesetzgeber einzuhalten ist, eingeschränkt. Das Ergebnis: Verbraucher sorgen mit Produkten geringer Qualität vor und erreichen dadurch viel zu wenig Kapital und damit eben viel zu geringe Renten.

Ist es gut, Produkte staatlich zu fördern, die am Ende nicht reichen, um eine gute Altersvorsorge zu garantieren?

Ein entschiedenes Nein! Denn es handelt sich hierbei um Produkte, die keine ausreichende Produktqualität liefern, aber aufgrund enorm hoher steuerlicher Förderung durch Zulagen „attraktiv“ gemacht werden. Die Versicherungswirtschaft wirbt natürlich massiv mit diesen Zulagen und hat sogar die Frechheit, in die Renditen, die sie auf das Produkt bezogen ausweist, die Zulagen mit einzurechnen. Die Zulage ist aber keine Rendite, sondern eine von Steuerzahler*innen und Steueransparer*innen finanzierte Förderung.

Suggeriert die staatliche Förderung nicht auch Sicherheit?

Die Situation ist derzeit so: Alle sehen, dass es nicht funktioniert und trotzdem reagiert die Politik nicht. Wenn man politisch entscheidet, dass ergänzend zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgesorgt werden muss aber seit fast 20 Jahren feststellen muss, dass der Markt nicht funktioniert, müsste man doch eigentlich reagieren. Passiert aber nicht.

Die Verbraucherzentrale hat reagiert und eine Alternative zu Riester entworfen. Wie sieht die aus?

Mit dem Modell der Extrarente machen wir den Vorschlag für ein Standardprodukt, mit dem eine hohe Produktqualität erzeugt werden kann. Es geht darum, Kosten zu senken und gleichzeitig um ein Umdenken bei der Kapitalanlage. Die private Altersvorsorge wurde den Bürger*innen mit der Aussicht auf höhere Renditen schmackhaft gemacht. Um aber überhaupt eine Chance auf diese Renditen zu haben, führt kein Weg daran vorbei, mit dem Geld auch ins Risiko zu gehen. Anders gesagt, wenn alles sicherheitsorientiert angelegt werden muss, kann keine ausreichende Rendite erwirtschaftet werden. Mit Risiken kann man aber umgehen. Die Kapitalmarktforschung sagt, was dafür zu tun ist: Dazu gehört ein langer Ansparzeitraum, eine sehr breite Verteilung der Gelder auf unterschiedliche Unternehmen und ganz wichtig: niedrige Kosten. Um die Verwaltungskosten niedrig zu halten, stellen wir uns ein Ausschreibungsmodell vor. Dafür ist ein öffentlicher Träger erforderlich, der vom Staat eingesetzt wird.

Warum soll es ein öffentlicher Träger sein?

Wenn Verbraucher*innen zusätzlich privat fürs Alter vorsorgen sollen, dann sollten sie das unbedingt mit guten Produkten umsetzen können. Dafür steht der Staat in der Verantwortung. Die Idee ist, mit einem öffentlichen Träger die Gelder der Verbraucher einzusammeln und per Ausschreibungsverfahren das Kapital jenen professionellen Finanzmarktprofis zuzuführen, die nachweisen können, dass sie dieses Geld für die Verbraucher kostengünstig und breit gestreut anlegen. Mit einem solchen Ausschreibungsmodell lässt sich die Marktmacht der Verbraucher bündeln. Im heutigen Riester-System fehlt Verbrauchern diese Macht und sie müssen sich mit minderwertigen Anlagen zufriedengeben. Der öffentliche Träger würde kostendeckend arbeiten, hätte aber kein eigenes Profitinteresse.

Haben Sie damit nicht die gesamte Versicherungswirtschaft gegen sich, auch wenn die gerade viele Versicherungen loswerden will?

Die klassische Rentenversicherung wird für die private Versicherungswirtschaft unattraktiv und einige Unternehmen stoßen dieses Produkt gerade ab. Aber sie will sich natürlich nicht ganz aus dem Geschäft zurückziehen. Statt klassischer Rentenversicherungen werden nun fondsgebundene Policen verkauft. Ein überteuertes, unflexibles Produkt, das niemand braucht. Ich rate allen Verbrauchern, hiervon die Finger zu lassen.

Wie lässt sich unter den derzeitigen Bedingungen eine gute Altersvorsorge betreiben, wenn man eben nicht über ein großes Vermögen verfügt?

Das, was wir uns mit der Extrarente vorstellen, könnte sich grundsätzlich auch jeder selber basteln. Das ist am Ende kein Hexenwerk. Aber Realität ist, dass das Gros der Verbraucher am Finanzmarkt eher unerfahren ist und Unterstützung braucht. Diese Unterstützung gibt es aber nicht wirklich, weil es kaum unabhängige Verbraucherberatung gibt. Meist spielen Provisionen in der Beratung eine Rolle und damit bekommen Verbraucher eben keine kostengünstigen und rentierlichen Produkte angeboten.

Wie blicken Sie auf die Altersvorsorge insgesamt?

Aus meiner Sicht wäre den Menschen in Deutschland vor allem mit einer starken gesetzlichen Rente gedient. Ich halte jede weitere Absenkung der gesetzlichen Rente und jede weitere Verschiebung ins private für falsch. Durch die Privatisierung hält man den Beitragssatz in der gesetzlichen Absicherung zwar niedrig, aber kehrt gleichzeitig unter den Tisch, dass der „persönliche“ Beitragssatz dadurch immens steigt. Es gibt viele Verbraucher, die das schlicht nicht stemmen können. Damit muss sich Politik beschäftigen. Mit unserem Modell der Extrarente bekäme man demgegenüber das Problem fehlender Produktqualität in der privaten Vorsorge gelöst. Auch bei einer gestärkten gesetzlichen Rente, ist und bleibt eine solche Lösung mehr als überfällig. Der politische Stillstand ist an dieser Stelle unerträglich.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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