Aktionstag gegen Rassismus: Warum es keine „Rassen“ gibt
Deutschland bei Nacht im August 2015: Zwei junge Männer und eine Frau sitzen zusammen in einer Garage in der niedersächsischen Provinz. Aus der Stereoanlage dröhnt Musik der Rechtsrock-Band „Kategorie C“, es fließt literweise Bier, und die drei fassen einen Plan. Sie füllen Sägespäne in eine Glasflasche, schütten Benzin hinterher und machen sich auf den Weg. Ihr Ziel: die Wohnung einer Frau aus Simbabwe, Mutter eines elfjährigen Sohnes. Die drei schleudern den Molotowcocktail durch das Fenster – nur durch großes Glück wird niemand verletzt.
Für einen Rechtsstaat „absolut inakzeptabel“
Das Motiv der inzwischen verurteilten Attentäter: Rassismus. Dass die drei vor kurzem vor Gericht standen, ist keine Selbstverständlichkeit. Fast täglich gehen Asylunterkünfte in Deutschland in Flammen auf, seit 2014 hat sich die Zahl der Anschläge verfünffacht, bilanziert Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. „Nur jede vierte Tat wird aufgeklärt, diese niedrige Aufklärungsquote ist für einen Rechtsstaat wie Deutschland absolut inakzeptabel“, klagt Çalışkan.
Dabei gibt es den Rechtsterror nicht erst seit gestern. Nach dem Auffliegen der Terrorzelle NSU im November 2011 habe die Bundesrepublik „kaum dazu gelernt“, kritisiert Ayşe Demir vom Türkischen Bund Berlin Brandenburg (TBB) bei einer Kundgebung in Berlin. Der Staat konzentriere sich auf repressive Maßnahmen, habe immer wieder Aufklärung versprochen. Nur: „Rassistische Strukturen“ in den Ermittlungsbehörden von Bund und Ländern seien nach wie vor nicht beleuchtet worden. Das Vertrauen der Migranten-Communities in den deutschen Sicherheitsapparat sei nachhaltig erschüttert, so TBB-Sprecherin Demir.
SPD-Antrag: Den Begriff „Rasse“ streichen
Ähnlich sieht es die SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe aus Leipzig: „Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Er ist kein Randproblem“, erklärt sie anlässlich des UN-Tags gegen Rassismus. Von der Bundesregierung wünscht sich die Politikerin, den nationalen Aktionsplan gegen Rassismus weiterzuentwickeln und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit mehr Geld auszustatten. Außerdem fordert die SPD-Bundestagsfraktion, den untauglichen Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen und „durch eine geeignete Formulierung zu ersetzen“.
Der Begriff „Rasse“ ist ein Relikt aus vergangener Zeit. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert prägten sogenannte Rassentheorien das Denken vieler Wissenschaftler. Eine Einteilung der Menschen in „Rassen“ lässt sich jedoch mit dem heutigen Stand der Forschung nicht vereinbaren, sagen Biologen und Humangenetiker.
Nicht „deutsch genug“?
Deutschland habe vor allem den Alltagsrassismus „langjährig verharmlost“, kritisiert Ayşe Demir. Wer nicht „deutsch genug“ aussehe, sei häufig Diskriminierung ausgesetzt. In „weiten Teilen der Gesellschaft“ sei Rassismus heute salonfähig. Vor allem die AfD knüpfe mit ihren „perversen, demokratiefeindlichen Gedanken“ an die weit verbreiteten Ressentiments an, sagt Sevcan Doğan von der Alevitischen Gemeinde Berlin. Die AfD sei „keine Alternative“, sondern stehe für eine politische „Sackgasse“.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.