71 Jahre nach Auschwitz: Gewalt gegen Juden ist deutscher Alltag
Mehr als vier antisemitische Straftaten am Tag, darunter Delikte wie Brandstiftung, Friedhofsschändung oder Misshandlung: Was sich anhört wie ein Rückblick in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, ist deutscher Alltag. Allein im Jahr 2014 registrierten Sicherheitsbehörden knapp 1600 Straftaten gegen Juden, das entsprach einer Steigerung im Vergleich zu 2013 um 25 Prozent.
Dunkelziffer bei antisemitischen Straftaten ist hoch
Die Zahlen für das Jahr 2015 sind zwar noch nicht bekannt, mit einem Rückgang der Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen ist jedoch nicht zu rechnen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Weil viele aus Judenhass begangene Straftaten gar nicht erst an die Öffentlichkeit gelangen, dürfte ihre tatsächliche Zahl noch deutlich höher liegen. Darauf verwiesen Wissenschaftler des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung in einer unter anderem von der Zeitung „Die Welt“ zitierten Studie.
Angesichts dessen nahmen zahlreiche Politiker den 71. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zum Anlass, um auf die Situation der in Deutschland lebenden Juden aufmerksam zu machen. In einem auf seiner Facebook-Seite veröffentlichten Statement sagte SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier: „Wenn sich Juden, Andersgläubige und Andersdenkende in Europa nicht mehr sicher fühlen, kann sich niemand von uns hier sicher fühlen.“ Das Eintreten gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus habe nichts von seiner Dringlichkeit verloren, so Steinmeier weiter.
Verantwortung, die aus Erinnerung erwächst
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen-Claudio Lemme erklärte: „Es waren vor und im 2. Weltkrieg nicht die Ausländer, nicht die Juden, die Deutschland vernichtet haben. Es sind auch heute nicht die Flüchtlinge, die Deutschland vernichten. Sorgen wir alle dafür, dass die Horden rechter Seelenfänger nicht unsere Demokratie und unser Land ein weiteres Mal vernichten.“ Michaela Engelmeier, Mitglied im Arbeitskreis Rechtsextremismus der SPD-Bundestagsfraktion, ergänzte: „Heute, mehr denn je, ist unser Wissen um die Vergangenheit eine Verpflichtung für alle Demokraten, ihre Stimme gegen jeden Ansatz und jede Form von Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu erheben.“
Hinzu kamen zahlreiche Posts in sozialen Netzwerken, die Erinnerung der Geschichte mit Verantwortung für die Gegenwart in Bezug setzten.
So twitterte der SPD-Bundesvorstand:
Die SPD in Europa ergänzte:
Für den DGB erklärte der Vorsitzende Reiner Hoffmann:
Zeitzeugin lobt deutsche Flüchtlingspolitik
Neben Gedenkstunden in zahlreichen Landtagen fand die zentrale Trauerfeier des seit 1996 gesetzlich verankerten Holocaust-Gedenktages im Deutschen Bundestag statt. Dort sprach nach dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) die in Wien geborene Ruth Klüger. Heute 85-jährig, hatte sie den Nationalsozialismus und die industrielle Judenvernichtung als Zwangsarbeiterin überlebt.
Klüger nutzte den Blick zurück, um auf das Hier und Jetzt zu schauen. In Bezug auf die aktuellen Debatten zur Flüchtlingspolitik sagte sie: „Dieses Land, das vor achtzig Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war", habe heute den Beifall der Welt gewonnen - dank seiner geöffneten Grenzen und der Groβherzigkeit, mit der die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen wurde und noch aufgenommen wird.