Die EU ist alleine zu klein, um internationale Klimakonferenzen ausreichend voranzutreiben. Deshalb sollte sie ein Bündnis mit den Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas und Lateinamerikas eingehen.
Schon bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen hatten Deutschland, Großbritannien und Frankreich erkennen müssen, dass sie alleine längst zu klein sind, um bei den entscheidenden Beratungen überhaupt noch beteiligt zu werden. Und spätestens bei der UN-Klimakonferenz in Durban hat die EU lernen müssen, dass selbst der Einfluss der vereinigten siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten trotz des kurzzeitigen Bündnisses mit Entwicklungsländern keine ausreichende Bewegung mehr bringt. Europa sollte daher einen neuen Ansatz wählen: Nämlich eine dauerhaft angelegte „Klimaschutz-Allianz“ der bald achtundzwanzig EU-Mitgliedsstaaten plus Norwegen, Schweiz, Island und der Türkei mit ebenfalls zweiunddreißig Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas und Lateinamerikas.
Die Ergebnisse von Durban sind dürftig, das können alle Durchhalteformeln nicht verbergen. Die bloße Verhinderung des formalen Aus der UN-Klimaschutzdiplomatie und die vage Aussicht auf zukünftige Verhandlungen und Vereinbarungen wurden mit dem Ende des Fundaments wissenschaftlicher Erkenntnisse für den internationalen Klimaschutz und einer Quasi-Aufgabe des Zwei-Grad-Ziels viel zu teuer erkauft. Die neue Klimaschutz-Allianz der vierundsechzig Staaten wäre die notwendige Antwort auf dieses Scheitern. Denn der weltweite Klimaschutz wird nur vorankommen, wenn endlich mehr Staaten und Regionen voranschreiten und handeln.
Auf der Klimaschutz-Allianz aufbauende Vereinbarungen über Finanzierungen, Wissenstransfer und saubere Entwicklung würden ein gemeinsames Vorgehen von dann einem Drittel aller Staaten der Welt und damit neuen Schwung sowie neuen Druck auf Klimaschutzverweigerer-Staaten wie USA, Kanada und Japan ermöglichen. Nach einer ersten Phase der Vertiefung und Realisierung der Klimaschutz-Allianz stände dieses „Verteidigungsbündnis“ neuer Art gegen eine neue Art der Bedrohung dann weiteren Mitgliedern offen, z.B. den zum Klimaschutz bereiten Staaten Asiens.
Es wäre eine Allianz auf Gegenseitigkeit: Die Europäer könnten allen Weltregionen deutlich machen, dass sie es Ernst meinen mit dem Klimaschutz und darin kein Hindernis für wirtschaftlichen Wohlstand, sondern im Gegenteil die Grundlage für nachhaltige Entwicklung sehen. Die von Europa verfolgte Zwei-Grad-Obergrenze für den globalen Temperaturanstieg und die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Notwendigkeit einer Halbierung der heutigen Treibhausgasemissionen wären die politische Richtschnur für alle vierundsechzig Staaten, die sich auch in nationalen Klimaschutzgesetzen widerspiegeln würde. Die Länder des Südens könnten sich auf eine klare Finanzierung der Fast-Start-Mittel, gerade auch für die Anpassung auf die ersten Folgen des Klimawandels verlassen, die Industriestaaten übernähmen ihre historische Verantwortung und würden Wissen teilen. Ein klares Finanzierungskonzept für eine klimaverträgliche Entwicklung im Süden entstünde (als Teil des Green Climate Fund (GCF) oder – bei dessem nicht auszuschließendem Scheitern – anstelle des GCF) und die Länder wären sicher, dass sie im Wirtschaftsverkehr mit der EU weitere Privilegien genießen könnten.
Historische Verantwortung und finanzielle Anreize
Den Entwicklungs- und Schwellenländern war in den bisherigen Klimaverhandlungen immer besonders wichtig, auf die besondere historische Verantwortung der Industrieländer zu verweisen, die ihren Wohlstand mit der Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre geschaffen hätten. Mit der sicheren Fast-Start-Finanzierung in der Klimaschutz-Allianz würden die europäischen Staaten ihren Partnern gegenüber diese Verantwortung nachvollziehbar übernehmen.
Der langfristige Klimaschutz-Finanztransfer von Nord nach Süd, in Kopenhagen mit dem GCF ja schon als Ziel beschlossen, könnte in der „32+32“-Allianz durch eine Art Emissionshandel realisiert werden, der bei einem sanften Einstieg alle Ziele erfüllen würde: Staaten, deren Pro-Kopf-Ausstoß oberhalb des Durchschnitts liegt, müssen für jede Tonne Kohlendioxyd einen bestimmten Betrag in einen Klimaschutzfond einzahlen, beginnend mit einem kleinen Betrag und bis 2050 festgelegt ansteigend. Alle Staaten, deren Pro-Kopf-Emission unterhalb des Durchschnitts liegt, erhalten Zahlungen aus dem Fond für saubere Entwicklung und Anpassung an den Klimawandel. Für beide Seiten entsteht dadurch ein finanzieller Anreiz für den Klimaschutz, der zuverlässig und nachhaltig ist. Zusätzlich müssten sich die Industriestaaten zu einem Abbau der Emission von Treibhausgasen rechtsverbindlich verpflichten, die Schwellenländern den Aufwuchs stoppen und die Entwicklungsländer den – sicherlich notwendigen – Aufwuchs verlangsamen.
Wissenstransfer organisieren
Die Entwicklungs- und Schwellenländer bestehen seit vielen Jahren zu Recht auf einen Wissens- und Technologietransfer, um Klimaschutzbemühungen mit einer zuverlässigen Energieversorgung für alle Menschen zu verbinden. Innerhalb der Klimaschutz-Allianz könnte der Wissens- und Technologietransfer hervorragend organisiert werden, was auch ein Anreiz für die Mitgliedschaft wäre. Die dann 28 EU-Staaten und die anderen vier europäischen Mitgliedsstaaten der Allianz bauen ein Stipendien-System für Handwerker, Studierende und Ingenieure aus den südlichen Partnerländern auf, das deren Ausbildung verbessert. In Lateinamerika und Afrika wird der Aufbau von Ausbildungs- und Exzellenzzentren unterstützt.
Die Klimaschutz-Allianz setzt sich für ein IRENA-Programm ein, dass für die Entwicklungsländer der Allianz einen durch internationale Mittel finanzierten Einspeisetarif für erneuerbare Energien vorsieht, wenn der Großteil der Wertschöpfung aus den Ländern selbst stammt. Die Finanzierung könnte aus dem Emissionshandel-Fonds der Allianz bzw. aus dem GCF stammen. Das würde dazu führen, dass die europäischen Firmen einen Technologietransfer unternehmen müssen, der die dezentrale Energieversorgung in den Ländern des Südens schnell aufbauen hilft und dabei dort einen neuen Wirtschaftszweig schafft.
Wirtschaftliche Vorteile und 32 Partnerschaften
Die Mitglieder der Klima-Allianz sollten alle Partnerschaftsvorteile der Europäischen Union genießen dürfen, z.B. im Hinblick auf Zölle und Steuervereinbarungen. Außerdem muss klar sein, dass die Mitgliedsstaaten der Klima-Allianz von möglichen Klimaschutz-Zöllen ausgenommen werden, die der Europäische Union eventuell eines Tages zum Schutz vor Ökodumping aus den USA, den Golfstaaten oder auch China, Japan, Kanada und Australien vornehmen muss. Und die Notwendigkeit solcher Ökodumping-Schutzzölle ist nach Durban wahrscheinlicher geworden. Vor allem die USA, Kanada und die Golfstaaten setzen zunehmend bei Investitionsentscheidungen internationaler Konzerne auf geringe Klimaschutzauflagen. Die Klimaschutz-Allianz und allen voran die Europäische Union sollten das Instrument eines Grenzausgleichs für energieintensive Produkte so vorbereiten, dass es innerhalb kurzer Zeit in Kraft gesetzt werden kann, wenn sich diese Staaten auch 2015 einem weltweiten rechtsverbindlichen Klimaschutzsystem verweigern sollten.
Ein solcher Grenzausgleich, also Zölle auf den Import von energieintensiven Produkten aus Ökodumping-Staaten bzw. die Erstattung von Kosten beim Export dorthin sind übrigens kein Widerspruch zu der Erwartung, dass der Klimaschutz technologische Innovationen und damit wirtschaftlichen Erfolg bringen wird. Denn auch wenn die allermeisten Branchen von einem ambitionierten Klimaschutz schnell profitieren werden, könnten andere, besonders energieintensive Branchen wie z.B. die Grundstoff-Chemie durchaus unter dem Dumpingverhalten anderer Weltregionen leiden. Subventionen oder Ausnahmen für diese Branchen aber übersteigen schnell die Finanzkraft einzelner klimaschutzwilliger Staaten und verzerren die Preissignale für den Umbau der Industriegesellschaft. Dort würde der Grenzausgleich am Ende, trotz aller zu erwartenden Probleme bei der Einführung, das wesentlich elegantere Instrument darstellen. Besser noch wäre der Eintritt der Klimaschutzverweigerer in ein weltweites Abkommen.
Innerhalb der 64er-Gemeinschaft sollte jeder der 32 europäischen Mitgliedsstaaten der Klimaschutz-Allianz noch besondere Partnerschaften mit jeweils einem südlichen Mitgliedsstaat anstreben. Hier soll durch die besondere Enge des persönlichen Austauschs, eine besondere Dichte von Projekten des Wissenstransfers und der Entwicklungszusammenarbeit sowie Städtepartnerschaften und regelmäßige Regierungskontakte die Klimaschutz-Allianz vertieft werden.
Gemeinsames Auftreten auf allen Konferenzen
Die Vereinbarungen und Projekte der „Klimaschutz-Allianz“ münden dann in eine gemeinsame Position für die UN-Klimaschutzkonferenzen, aber auch für G20-, WTO- und sonstige Treffen. Vierundsechzig Staaten, also ein Drittel der UN-Mitgliedsstaaten, treten dann als neue, fortschrittliche Gruppe auf den Konferenzen geschlossen auf. Das wird eine neue Dynamik ermöglichen, der sich andere Staaten anschließen werden. Und die Klimaschutz-Allianz könnte auch ein Vorbild für eine Klimaschutzvereinbarung unter Ausschluss der Verweigerer werden, die dann aber auch die wirtschaftlichen Konsequenzen ihres asozialen Verhaltens akzeptieren müssten.
Ulrich Kelber ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied der Bundestagsausschüsse für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.