30 Jahre Deutsche Einheit: Das haben Frauen in Ost und West voneinander gelernt
Thomas Koehler/photothek.net
In einer aktuellen Studie beschäftigen Sie sich mit der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in West- und Ostdeutschland. Wo ist die Gleichstellung von Frauen 30 Jahre nach der Deutschen Einheit vorangekommen?
Es gibt Beispiele für gute Entwicklungen. Frauen sind heute mindestens genauso qualifiziert wie die Männer. Und auch bei der Erwerbstätigkeit hat sich sehr viel getan. Aber beim Gender-Pay-Gap, also dem Unterschied beim durchschnittlichen Bruttostundenverdienst zwischen Frauen und Männern, sehen wir, dass noch viel zu tun ist.
Wie hoch sind die Lohnunterschiede?
Im Osten liegt die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern bei knapp sieben Prozent, im Westen dagegen bei 21 Prozent und damit wesentlicher höher. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass die westdeutschen Männerlöhne so viel höher sind als die der Männer im Osten. Sie liegen im Schnitt pro Stunde im Osten um fünf Euro unter denen im Westen, weil es im Osten weniger gut bezahlte Industriearbeitsplätze gibt.
Was haben Frauen in Ost- und Frauen in Westdeutschland gemeinsam?
Neben der hohen schulischen und beruflichen Qualifikation lassen sich auch bei der Berufswahl Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West erkennen. In beiden Landesteilen entscheiden sich Frauen oft für „typisch weibliche“ Dienstleistungs-Berufe, etwa in Handel, Erziehung oder im Pflege- und Gesundheitsbereich. Das gilt übrigens auch für neue Ausbildungsberufe. Während sich Frauen häufig für Bürokauffrau entscheiden, interessieren sich Männer mehr für den Kraftfahrzeugmechatroniker.
Wo gibt es deutliche Unterschiede?
Bei der Verteilung der Arbeitszeiten. Nach wie vor arbeiten Frauen in Westdeutschland wesentlich häufiger in Teilzeit. Das klassische Modell ist hier eine Vollzeit- Teilzeitaufteilung zwischen Männern und Frauen. In Ostdeutschland dagegen überwiegt, dass beide in Vollzeit arbeiten.
Frauen im Osten sind weiterhin mehr erwerbstätig?
Weil eine bessere institutionelle Kinderbetreuung im Osten vorhanden ist, partizipieren Frauen dort auch mehr am Arbeitsmarkt. Aber das muss nicht immer eine freiwillige Entscheidung sein. Es könnte auch damit zusammenhängen, dass die Männer im Osten weniger verdienen und damit das Haushaltseinkommen zu gering ausfallen würde, wenn die Frau nur Teilzeit arbeiten würde.
Dann ist die Vollzeitbeschäftigung von Frauen im Osten möglicherweise aus der Not geboren?
Ja und nein. Denn auch Normen spielen hier eine große Rolle. Wenn ich schon als Kind beobachtet habe, dass meine Mutter voll berufstätig war, so wie es im Osten oft der Fall war, dann hat das auch Einfluss darauf, selber erwerbstätig sein zu wollen oder nicht.
Wie sieht es mit der Verteilung der Sorgearbeit aus. Da scheinen die Ostfrauen durch eine bessere Kinderbetreuung doch klar im Vorteil zu sein?
Nur wenn es um die institutionelle Kinderbetreuung geht. Wenn es aber um die partnerschaftliche Verteilung der Sorgearbeit geht und wir das Elterngeld als Indikator nehmen, sieht es wieder relativ ähnlich aus. In beiden Landesteilen nehmen Frauen durchschnittlich mindestens zehn Monate Elternzeit.
Sie fordern stärkere Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen. Dazu hat Bundesministerin Franziska Giffey Mitte September eine Verbesserung des Elterngeldes ins Kabinett eingebracht. Der richtige Weg?
Wir sind davon überzeugt, dass Väter, die in Elternzeit gehen im Anschluss auch langfristig mehr Sorgearbeit übernehmen. Studien haben gezeigt, dass dieser Effekt schon sichtbar ist, wenn Väter nur kurze Zeit gemeinsam mit den Müttern in Elternzeit sind. Er fällt aber wesentlich stärker aus, wenn nur der Vater in Elternzeit ist, während die Mutter arbeitet. Andererseits hilft die Elternzeit der Väter natürlich auch dabei, dass Frauenwieder besser in den Beruf einsteigen zu können.
Sie fordern auch eine Abkehr von der Vollzeit- und Präsenzkultur. Was kann man sich darunter vorstellen?
Familien haben derzeit eine andere Vorstellung von Arbeitszeiten. Arbeitet der Mann 40 Stunden und die Frau 20 macht das 60 Wochenstunden, die auch zur Hälfte aufgeteilt werden könnten. Die Frage ist also, ob sich nicht Anreize setzen ließen, dass Männer ihre Arbeitszeiten reduzieren und Frauen sie mehr ausschöpfen. Das Elterngeld ist da eine gute Maßnahme, diese Anreize zu schaffen.
Sind da nicht eher die Unternehmen gefragt?
Unternehmen müssen andere Arbeitszeitmodelle fördern. Zum Beispiel, dass auch Führen in Teilzeit möglich ist. Wir müssen weg von dieser Präsenzkultur und der dahinter liegenden Idee, dass eine Führungsposition nur in Vollzeit und mit Mehrstunden zu schaffen ist. Aus der Gleichstellungsperspektive heraus wäre es wichtig, das sogenannte Topsharing zu fördern, zwei Teilzeitbeschäftigte teilen sich eine Führungsposition.
Warum spielt das Ehegattensplitting besonders im Westen so eine nachteilige Rolle für Frauen?
Das Ehegattensplitting rentiert sich besonders dann, wenn ein Partner sehr viel, der andere sehr wenig verdient. Im Westen ist das zumeist die Frau. Wenn ich als Frau beispielsweise 20 Stunden in der Woche arbeite und auf 25 Stunden erhöhen will, kann es durch die Aufteilung von Steuerklasse III für das höhere Einkommen, das meistens beim Mann verortet ist, und Steuerklasse V für die Frau dazu kommen, dass ich vielleicht nur wenig mehr verdiene und mich daher gegen eine Aufstockung der Arbeitsstunden entscheide. Durch diese Besteuerung werden also Fehlanreize gesetzt.
Wie sieht ihr Fazit nach 30 Jahren Deutsche Einheit aus?
Wir kamen von sehr unterschiedlichen Polen und in eine gehen in eine ähnliche Richtung. Wenn wir uns die Erwerbsquote anschauen, die in Ostdeutschland immer wesentlich höher war als im Westen, sehen wir, dass die westdeutschen Frauen sich dem nun angleichen. Und auch eine gut funktionierende Kinderbetreuung im Osten hat mit dazu beigetragen, den Ausbau im Westen voranzubringen.
Dann waren Ostfrauen Vorbild für die Frauen im Westen?
Beide Landesteile haben voneinander gelernt, das zeigt sich sehr schön beim Elterngeld. Einerseits beinhaltet es einen Anreiz, wieder früher in das Erwerbsleben zurückzukehren, also eine Orientierung am ostdeutschen Modell der Frauenerwerbstätigkeit. Umgekehrt haben ostdeutsche Frauen auch davon profitiert, Zeit zu haben für die Familie. Das Elterngeld hat mit dazu beigetragen, dass es für Erwerbstätige überhaupt diesen Schonraum gibt, Zeit für die Familie zu haben.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.