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20.000 Euro Grunderbe für alle um Ungleichheit zu beseitigen?

Lässt sich durch Arbeit noch Wohlstand erreichen? Oder zementiert die Leistungsgesellschaft Ungleichheiten, wie der Philosoph Michael Sandel in einer Dislussion mit SPD-Chef Lars Klingbeil erklärt. Und können 20.000 Euro Grunderbe daran etwas ändern?
von Vera Rosigkeit · 1. Juni 2022
Preisverleihung der FES
Preisverleihung der FES

Für eine Gesellschaft des Respekts, so lautete das Motto, das die SPD sich in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr auf die Fahnen geschrieben hat. Dazu zählt der Respekt vor der Lebensleistung jedes und jeder Einzelnen, aber eben auch, dass man von seiner Arbeit gut leben kann. Für den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil ist klar, dass es dafür eine Wirtschaftspolitik braucht, die dem Gemeinwohl dienen muss. Denn seiner Meinung nach sehen wir uns aktuell mit der noch nicht für beendet erklärten Pandemie, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der Klima-Krise drei großen Herausforderungen gegenüber, die eine vierte mit sich bringt: Die Sicherung des sozialen Friedens, sagt er auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik. Zwei Bücher werden an diesem Tag mit dem Hans-Matthöfer-Preis ausgezeichnet. Im Mittelpunkt stehen die Themen Gemeinwohl, Respekt und Würde der Arbeit.

Hauptpreis: Michael J. Sandel „Vom Ende des Gemeinwohls“

In seinem Buch „Vom Ende des Gemeinwohls — Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt“ analysiert der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel und Hauptpreisträger eine Gesellschaft in einer Zeit, in der die Ungleichheit in der Gesellschaft gestiegen und damit auch sozialdemokratische Parteien an Glaubwürdigkeit verloren haben. Dabei kritisiert Sandel vor allem die Orientierung der Einkommensverteilung an gängigen Leistungskriterien wie beispielsweise dem Glauben an einen Aufstieg durch Leistung. Die Chancen seien eben nicht gleich verteilt, sagt Sandel. Es würden Talente belohnt, „die ich zufällig habe“. Das aber sei keine Leistung, sondern Glück. Und Privilegien der Eltern würden an deren Kinder weitergegeben.

Auch impliziere die Vorstellung, dass jede oder jeder es schaffen könne im Umkehrschluss, dass diejenigen, die es nicht schaffen, selber Schuld seien, betont er. Damit zeige die Leistungsgesellschaft ihre dunkle Seite, Überheblichkeit bei den Gewinner*innen und Erniedrigung bei den Verlierer*innen. Dieses Erleben ist für ihn eine der Hauptquellen für den Erfolg der Rechtspopulisten, so Sandel.

Sonderpreis: Julia Friedrichs „Working Class“

Für Julia Friedrichs, die für ihr Buch „Working Class — Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“ den Sonderpreis erhielt, stimmt diese Zielrichtung. Sie schreibt über die Schicksale von Menschen, die von ihrer Arbeit leben wollen und es fast nicht schaffen. Sie seien nicht wirklich arm, so Friedrichs, hätten aber den Eindruck, dass ganz gleich, wie sie sich abstrampeln, sie nicht voran kommen. Als Beispiel nennt sie den Familienvater Said, der in Berlin U-Bahnhöfe reinigt und die Musikschullehrerin Alexandra, die an der Volkshochschule auf Honorarbasis Unterricht gibt. Prekäre Beschäftigung sei nicht der richtige Begriff für diese Gruppe, sagt Friedrichs und spricht stattdessen von einer neuen Arbeiterklasse: „Menschen ohne Kapital und Vermögen, das sie von ihrer Arbeit auch nicht aufbauen können.“ Diese Working Class arbeitet im Dienstleistungssektor, ist vielfältiger, weiblicher, häufig mit Migrationshintergrund. Die Löhne haben sich aufgespreizt, sagt sie, Sozialabgaben seien gestiegen, die Immobilienpreise auch. Ein Aufstieg sei kaum noch möglich.

Respekt statt Leistung

Das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen habe lange funktioniert, sagt SPD-Chef Lars Klingbeil. Doch die Durchlässigkeit habe abgenommen, Aufstieg durch Bildung sei schwieriger geworden. Wie kann ein neues Versprechen heute aussehen, das nicht gleichzeitig beinhaltet, dass man aufsteigen muss, um in der Gesellschaft anerkannt zu sein, fragt er. Im Wahlkampf gab es für die SPD wichtige Inhalte, die für einen Koalitionsvertrag Bedingung waren und auch umgesetzt werden. Ob 12 Euro Mindestlohn, stabile Renten oder die Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut.

Ein steigender Lohn sei nicht verkehrt, sagt Friedrichs. Doch ein Mindestlohn von 12 Euro werde die Wunden nicht schließen, ist sie überzeugt. Auch möchte sie die Frage des Aufstiegs von der Frage nach Bildung entkoppeln. Nicht der Aufstieg müsse belohnt werden, sondern die Arbeit wertgeschätzt werden. Für Sandel muss ein grundlegendes Umdenken stattfinden: Die Leistungsgesellschaft sollte repariert werden, sagte er. Doch selbst dann hätten „wir keine gerechte Gesellschaft“, fügt er hinzu. Hätten alle den gleichen Ausgangspunkt, würde die gewinnen, die am schnellstens rennen. Seiner Meinung nach sollten die Menschen nicht fit gemacht werden für das Wettrennen in der Leistungsgesellschaft, sondern das Leben besser gemacht werden für diejenigen, die, wie in der Pandemie deutlich geworden, gesellschaftlich wichtige Arbeit übernehmen, die LKW-Fahrer*innen, die Erzieher*in, die Pflegenden.

20.000 Euro Grunderbe für alle?

Doch was bedeutet das für die Politik? Wie auch Friedrichs kritisiert Sandel vor allem, dass Arbeit derzeit deutlich höher besteuert werde als Vermögen und Erbschaften. Um sich Ungleichheit entgegenzustellen wäre demnach eine Änderung der Steuerpolitik notwendig, betont er. Warum nicht eine Steuer auf finanzielle Transaktionen statt auf Arbeit?

Die Steuerfragen gehörten für ihn mit dazu, sagt Klingbeil. Er halte es für eine der größten Ungerechtigkeiten, wenn hohe Erbschaften ohne Zutun von Leistungen einfach weitergegeben würden. Das zementiere Ungleichheit. Gleichwohl wisse er, welcher Rahmen durch den Koalitionsvertrag gesetzt sei. Das sei für die kommenden Jahre in puncto Steuerfragen sehr begrenzt, fährt er fort. Das Thema sei für ihn deshalb nicht vom Tisch.

Am Ende steht die Frage nach der Einführung eines Grunderbes zur Diskussion. Der Vorschlag von SPD-Politiker Carsten Schneider geht zurück auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danach könnte viel Ungleichheit beseitigt werden, wenn ein Grunderbe von 20.000 Euro für alle 18-Jährigen eingeführt werde. Für Sandel eine sehr gute Maßnahme. Es könnte eine fairere Gesellschaft mit mehr Gleichheit fördern und bringe uns näher zu einer Gesellschaft, in der Privilegien nicht geerbt werden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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