175.000 neue Pflegekräfte braucht das Land
Florian Gaertner/photothek.net
Immer mehr Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Alleine zwischen 1999 und 2015 sei die Zahl von zwei Millionen auf mehr als drei Millionen Menschen gestiegen, referierte IW-Direktor Michael Hüther. Am Montagvormittag stellte er mit der Autorin Susanna Kochskämper eine Prognose seines Instituts zum Pflegenotstand in Deutschland vor.
Knapp eine halbe Million Beschäftige arbeiten momentan in Deutschland im Pflegebereich, davon 244.000 Altenpfleger und 228.700 Altenpflegehelfer. Im vergangenen Jahr waren durchschnittlich pro Monat 14.220 offene Stellen für Altenpfleger und 8.000 für Altenpflegehelfer gemeldet. Zwar steigen auch die Ausbildungszahlen seit Jahren deutlich an. Doch dieser Trend reiche nicht aus, um den wachsenden Bedarf in der Altenpflege nicht kompensieren. Dadurch entstehe laut Hüther ein „deutlicher Engpass", der sich bis zum Jahr 2035 vergrößern könnte.
Hüther fordert Deregulierung
Das IW hat anhand der heutigen Zahlen und angesichts des demografischen Wandels den künftigen Bedarf an Pflegefachkräften errechnet. Demnach könnten in nicht einmal 20 Jahren bis zu 175.000 weitere Beschäftigte in der Pflege benötigt werden. Um diesem Fachkräftemangel zu begegnen schlägt Hüther vor, den Pflegebereich stärker zu deregulieren: „Die Regulierung sollte flexibilisiert werden. Sonst bleiben alle politischen Bemühungen stecken und der Effekt ist überschaubar."
Hüther forderte insbesondere, dass Pflegeeinrichtungen auch gewinnorientiert wirtschaften sollten: „Bislang ist es ein System, das aus sich heraus keine Innovation zulässt." Die Regulierung verhindere, dass beispielsweise mehr in den Bereich Digitalisierung investiert werde. Sie führe außerdem dazu, dass Altenpfleger finanziell deutlich schlechter gestellt seien als Gesundheits- und Krankenpfleger, referierte der Direktor des arbeitgebernahen Wirtschaftsinstituts.
Politische Reformen reichen Hüther nicht aus
In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung das Pflegestärkungsgesetz auf den Weg gebracht, für eine neue Definition des Pflegebegriffs gesorgt und eine einheitliche Ausbildung in der Altenpflege, der Kranken- und Kinderkrankenpflege angestoßen. Maßnahmen, denen der IW-Direktor Positives abgewinnen kann. Doch diese Reformvorhaben reichten laut Hüther nicht aus.
Er fordert, die Finanzierung der Pflege stärker in den Fokus der politischen Debatte zu nehmen. Außerdem sprach sich Hüther dafür aus, politisch zu diskutieren, inwiefern die Einführung einer Pflegevollversicherung sinnvoll sein könnte. In diesem Fall sprach er sich für „eine zweite Säule in Form eines kapitalgedeckten Systems" aus, da ansonsten die Kosten angesichts einer alternden Bevölkerung aus dem Ruder zu laufen drohten. Die finanzielle Mehrbelastung durch den höheren Bedarf an Beschäftigten im Pflegebereich bis 2035 ist allerdings nicht der Teil der Berechnungen des Instituts.
Baehrens sieht sich bestärkt
Heike Baehrens, die Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, sieht sich durch die Prognose des IW in ihren pflegepolitischen Zielen und Vorhaben bestärkt: „Wir müssen verschiedene Maßnahmen ergreifen, um nachhaltige Verbesserungen in der Pflege zu erreichen. Nur so werden wir für die Zukunft gewappnet zu sein." Ein wichtiges Ziel sei es, mehr Pflegekräfte für die Ausbildung oder für eine Rückkehr in den Beruf zu gewinnen.
„Mit dem „Sofortprogramm für die Pflege" und der „Konzertierten Aktion Pflege" stellen wir dafür die richtigen Weichen", sagt Baehrens und fordert: “Wir brauchen verbindliche Tarifverträge mit guter Bezahlung und bessere Personalschlüssel in der direkten Pflege." Dieser doppelte Ansatz trage dazu bei, dass der Pflegeberuf anerkannt und honoriert werde.
Abschließend fordert Baehrens: „Für eine zukunftsfeste Pflege muss auch die Finanzierung langfristig tragfähig und solidarisch gestaltet werden. Dabei ist zu gewährleisten, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörige nicht überlastet werden."
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo