100 Jahre Frauenwahlrecht: Warum wir heute ein Paritätsgesetz brauchen
Vor einhundert Jahren durften Frauen in Deutschland das erste Mal wählen. Ein hart erkämpftes Recht und ein Durchbruch für Demokratie und Menschenrechte, sagt die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth am Donnerstag bei einer Feierstunde des Bundestages zum 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts.
Marie Juchacz und ihre ausgezeichnete Rede
Erinnert wird an die Rede der SPD-Abgeordneten Marie Juchacz, die am 19. Februar 1919 vor der Weimarer Nationalversammlung die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament hielt. Juchacz sei „alles andere als eine betuchte Frau“ gewesen, sondern nach heutigen Maßstäben eine „Ungelernte, eine angelernte Fabrikarbeiterin“, erklärt Süßmuth.
Dennoch habe sie eine ausgezeichnete Rede gehalten. „Bitte, unterschätzen wir die Menschen nicht, da steckt so viel drin“, fordert Süßmuth. Die Gegenwart hält sie noch nicht für befriedigend, jetzt seien weitere Schritte gefragt. Die Anzahl der Frauen im Bundestag sei seit 1998 rückläufig und liege derzeit nur noch bei knapp 31 Prozent. Auf regionaler und kommunaler Ebene sei der Anteil noch weit geringer: Für sie laute die drängendste Frage deshalb: Wie bekommen wir wieder mehr Beteiligung von Frauen?
Frauenrechte sind Menschenrechte
Die ehemalige Bundesfrauenministerin Christine Bergmann greift diesen Gedanken auf: Neben 14 Ministerpräsidenten regieren lediglich zwei Ministerpräsidentinnen in Deutschland, auf neun Oberbürgermeister komme gerade einmal eine Oberbürgermeisterin. Nur dort, wo Parteien eine verbindliche Quote festgelegt haben, seien Frauen auch angemessen in Parlamenten und Regierungen vertreten, betont sie.
Doch zuvor erinnert auch sie an die Verdienste der Frauenbewegung, die sich im Kampf um das Stimmrecht der Frauen bereits im 19. Jahrhundert einen Namen gemacht hätten. Stellvertretend nennt sie Minna Cauer, Louise Otto Peters und Hedwig Dohm. Letztere prägte mit dem Satz, Menschenrechte haben kein Geschlecht, auch das Bewusstsein dafür, dass Frauenrechte Menschenrechte seien. In ihrer Rede schlägt Bergmann einen Bogen, der auch die unterschiedlichen Realitäten von Frauen in Ost- und Westdeutschland einschließt.
Ein Einverständnis ihres Mannes, arbeiten gehen zu dürfen, habe sie als Bürgerin der DDR nicht gebraucht, erzählt sie. Frauen in der Bundesrepublik benötigten dies jedoch noch bis 1977. „Fröhlich vereint waren Ost und West allerdings an dem Punkt, dass Familienarbeit den Frauen vorbehalten war“, fügt sie lächelnd hinzu.
Brauchen ein Paritätsgesetz
Und heute: „Antifeministische Meinungen werden offen von den Rechtspopulisten vertreten“, so Bergmann. Die Sehnsucht nach den „guten, alten Rollenbildern“ lebe wieder auf, leider nicht nur bei Männern. Auch die „#metoo-Debatte“ mache deutlich, dass es wieder salonfähig werde, Frauenrechte und Chancengerechtigkeit infrage zu stellen. Sie zeige aber auch, dass sich Frauen zu wehren wüssten.
„Wir müssen aufpassen, dass der Zug nicht rückwärts fährt“, warnt Christine Bergmann. Die Gleichstellung der Geschlechter sei zwar ein Verfassungsauftrag, selbstverständlich sei die Umsetzung jedoch nicht. Bergmann fordert eine Wahlrechtsreform und damit eine Parität bei der Listenaufstellung und den Direktmandaten, kurz: ein Paritätsgesetz.In zehn europäischen Ländern sei dies bereits Realität. Und sie ruft die Frauen dazu auf, sich zu mobilisieren und zu solidarisieren: „Schließlich wollen wir vor den strengen Blicken unserer Vorkämpferinnen, die es so viel schwerer hatten, bestehen.“
#mehrfrauenindieparlamente
Und steht damit nicht alleine: Mit dem Aufruf: „Mehr Frauen in die Parlamente!“ (#mehrfrauenindieparlamente) startet der Deutsche Frauenrat am Donnerstag seine Kampagne für Parität in der Politik. Darin werden alle demokratischen Parteien aufgefordert, sich für eine Wahlrechtsreform einzusetzen, damit Männer und Frauen künftig je zur Hälfte in den Parlamenten vertreten sind – sowohl bei Listen- als auch bei Direktmandaten. Für Elke Ferner, Vorstandsmitglied des Frauenrats und ehemalige ASF-Vorsitzende, ist die „gleichberechtigte Teilhabe in den Parlamenten in erster Linie eine politische Frage. Wenn der politische Wille vorhanden ist, sind auch rechtliche Änderungen möglich. Die Beispiele in anderen Ländern zeigen das.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.