10 Jahre Gleichbehandlungsgesetz: Ein Erfolg auf Raten
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Männer und Frauen sind gleichberechtigt, so steht es im Grundgesetz. Mehr noch: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (Artikel 3 Absatz 2). Das bedeutet, der deutsche Staat geht gegen Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts vor. Aber wie?
Bis 2006 stützte sich der Diskriminierungsschutz in Deutschland vor allem auf Artikel 3 des Grundgesetzes. Das Problem dabei: Dieser Artikel schützt zwar jeden Menschen vor Diskriminierung aufgrund „seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen“ sowie wegen seiner Behinderung – einen Handlungsauftrag hat der Staat laut Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes aber eben nur, wenn es um das Merkmal „Geschlecht“ geht.
Juristisch gegen Diskriminierung vorgehen
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches im August 2006 in Kraft trat, will diesen Handlungsauftrag ausweiten – und zwar auf Individuen. Denn das Grundgesetz bezieht sich nur auf das Handeln des Staates, nicht auf das Verhältnis der Bürger und Bürgerinnen untereinander. Vor dem AGG gab es das Beschäftigtenschutzgesetz von 1994, welches sich aber ausschließlich auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bezog. Das AGG hingegen umfasst nicht nur Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, sondern ebenso „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ (§1). Es nennt konkrete Kriterien, nach denen Individuen sich juristisch gegen Diskriminierung wehren können.
Das AGG ging zurück auf europäisches Recht: Deutschland musste vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien aus den Jahren 2000 bis 2004 umsetzen. Doch trotz europäischer Vorgaben – unumstritten war das Gesetz in der damaligen Großen Koalition nicht. Teile der Union befürchteten Nachteile für Wirtschaft und Arbeitgeber sowie eine Klagewelle. Der Vorwurf lautete, das Gesetz würde über die europäischen Vorgaben hinausgehen, zu viel regeln. Die befürchtete Klagewelle blieb allerdings aus. Sogenannte „AGG-Hopper“ gibt es natürlich trotzdem: Bewerber und Bewerberinnen, die sich gezielt auf Stellen bewerben, mit der Absicht, abgelehnt zu werden und damit einen Grund zu haben, juristisch dagegen vorzugehen. Hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle.
AGG: Bilanz nach zehn Jahren
So umstritten das Gesetz 2006 war, so ruhig ist es darum in den letzten Jahren geworden. Wie sieht die Bilanz nach zehn Jahren aus? Hat sich durch das AGG tatsächlich etwas geändert? Zunächst einmal hat es Bewusstsein geschaffen für Diskriminierung. Arbeitgeber und Personalverantwortliche müssen sich nun damit auseinandersetzen, wer wie vor Diskriminierung geschützt werden muss sowie ob und welche Art von Diskriminierung es im eigenen Betrieb gibt. Darüber hinaus bietet das AGG Betroffenen konkrete juristische Möglichkeiten, gegen Benachteiligung vorzugehen.
Durch das AGG wurde außerdem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geschaffen: Sie soll Menschen helfen, die sich aufgrund eines oder mehrere der im Gesetz aufgeführten Merkmale diskriminiert fühlen. Die Behörde informiert und unterstützt. Allerdings gab es an der ersten Leiterin der Behörde, Martina Köppen, viel Kritik: zu nah an der Wirtschaft und zu weit entfernt von den Betroffenen, lautete der Vorwurf. Seit 2010 leitet Christine Lüders die Antidiskriminierungsstelle und deren Aktivitäten haben seitdem deutlich zugenommen. Es gibt regelmäßige Veranstaltungen wie Literaturabende und Workshops, dazu Studien und Kampagnen. Das Mandat der Antidiskriminierungsstelle ist dennoch begrenzt: So kann sie zum Beispiel nicht Kläger vor Gericht unterstützen.
Verbände fordern eigenes Klagerecht
Auch wenn das AGG juristische Möglichkeiten bietet, gegen Diskriminierung vorzugehen, so gibt es doch auch Gesetzeslücken. Ausnahmen gibt es zum Beispiel für kirchliche Arbeitgeber: Eine bestimmte Religion oder Weltanschauung kann hier eine „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellen und somit kein Grund für Diskriminierung sein (§9). Gewerkschaften und Verbände beklagen ein fehlendes Verbandsklagerecht: Nur Individuen können juristisch gegen Diskriminierung vorgehen – diese trauen sich den Rechtsweg aber oft nicht zu.
Kritisiert wird außerdem die unzureichende Beweislasterleichterung: Vor Gericht muss der oder die Betroffene sogenannte Vermutungstatsachen nachweisen, d.h. handfeste Indizien für die Diskriminierung haben. Mit der Beweislasterleichterung hingegen müsste der oder die Klagende die behauptete Diskriminierung nur glaubhaft machen, diese aber nicht nachweisen. Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände hingegen bemängeln, dass die Beklagten ohnehin schon die volle Darlegungs- und Beweislast trifft: Sie müssen nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt.
Kampf gegen Diskriminierung als Langzeitaufgabe
Auch zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten bleibt das AGG also umstritten. Sein Verdienst ist es, Möglichkeiten geschaffen zu haben, Diskriminierung vor Gericht zu bringen. Die juristischen Hürden aber sind hoch und viele Betroffene werden den Rechtsweg deswegen wohl ausschließen. 2016 ist Diskriminierung für viele Menschen in Deutschland immer noch eine gesellschaftliche Realität – daran wird ein Gesetz nichts ändern. Denn der Kampf gegen Diskriminierung ist und bleibt eine Langzeitaufgabe.