Warum das Ehegattensplitting nicht mehr zeitgemäß ist
IMAGO/Christian Ohde
Warum brauchen wir im Jahr 2023 noch ein Ehegattensplitting?
Die gesamte Bandbreite der Wissenschaft sieht vor allem Nachteile: Das Ehegattensplitting setzt negative Erwerbsanreize für Frauen, führt zu einer hohen Teilzeitbeschäftigung mit Folgen wie geringe Lohnersatzleistung bei Kurzarbeitergeld oder Erwerbslosigkeit und auch zu geringen Rentenansprüchen. Ich bin immer wieder überrascht, wie massiv gegen eine Abschaffung argumentiert wird. Im Gegensatz zum Erkenntnisstand und der Sachargumente, die auf der Hand liegen, gibt es hier starke patriarchale und konservative Kräfte, die wirken.
Ist diese steuerliche Förderung der Ehe überhaupt noch gerecht?
Die Idee zum Schutz der Ehe entstand zu einer Zeit, in der man zwischen Ehe und Familie nicht differenziert hat. Die Realität ist heute eine andere. Zum einen, weil viele Kinder gar nicht in Ehen aufgezogen werden. Zum anderen, weil das Ehegattensplitting keine Familien entlastet, sondern Ehepaare. Mit Kindern hat das nichts zu tun. Hier wird eine ganz private Entscheidung, nämlich die, in einer Ehe zusammenzuleben, vom Staat belohnt.
Hält die Kombination aus den Steuerklassen III und V Frauen von der Arbeit fern?
Es schafft Anreize, weniger zu arbeiten. Denn bei dieser Kombination ist die Steuerersparnis dann besonders hoch, wenn ein Einkommen möglichst gering ausfällt. Es gibt allerdings auch andere Gründe, die Frauen in die Teilzeitfalle drängen. So waren 57 Prozent der erwerbstätigen Eltern in diesem Frühjahr von verkürzten Kinderbetreuungszeiten betroffen. Das ergab eine Befragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Zwei Drittel der betroffenen Befragten gaben an, dass sie die Ausfälle als belastend empfinden. Knapp 30 Prozent mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren. Das waren in der überwiegenden Mehrzahl Frauen.
Was kostet dem Staat dieses Splitting-Verfahren?
Das Ehegattensplitting kostet uns mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr und wird zu 90 Prozent in den alten Bundesländern in Anspruch genommen. Geld, das sich für andere Dinge mobilisieren ließe, zum Beispiel für eine vernünftige Kindergrundsicherung. Es steht in einem krassen Missverhältnis, dass man ein Relikt wie die Ehe subventioniert anstatt Kinderarmut zu bekämpfen oder den Fachkräftemangel in den Kitas anzugehen.
Wie könnte eine gute Alternative aussehen?
Im Koalitionsvertrag ist die Überführung der Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV festgeschrieben. Das wäre ein erster großer Schritt. Zeitgemäß wäre meiner Meinung nach eine Individualbesteuerung und da, wo Kinder sind, eine entsprechende Entlastung. Dabei sollten allerdings dem Staat alle Kinder gleich viel wert sein. Das ist aktuell nicht der Fall. Kinder aus Familien mit mittleren Einkommen bekommen 250 Euro Kindergeld. Hingegen werden Eltern mit höheren Einkommen über Kinderfreibeträge bis zu 354 Euro entlastet. Reiche Eltern bekommen so vom Staat 100 Euro mehr pro Monat, weil es die Entlastung wegen des progressiven Steuertarifs bei steigenden Einkommen zunimmt. Das ist eine Unwucht im System.
Alle Kinder müssen dem Staat gleich viel wert sein. Wäre dieses Ziel mit einer Kindergrundsicherung besser zu erreichen?
Aktuell bekommen Kinder aus einkommensstarken Familien die größte staatliche Zuwendung bzw. Entlastung. Diese Privilegierung betrifft nicht nur die Höhe der Leistung, sondern auch den Zugang. Denn während Kindergeld und Kinderfreibetrag automatisch ausgezahlt werden, müssen andere Leistungen beantragt werden. Viele Familien nehmen Leistungen, wie etwa den Kinderzuschlag für gering verdienende Eltern gar nicht in Anspruch. Grundprinzip einer Kindergrundsicherung muss daher sein, dass alle Kinder den gleichen Garantiebetrag erhalten und der Zugang zum Garantiebetrag so einfach ausgestaltet ist, dass alle die Leistungen bekommen, die ihnen zustehen. Die Kindergrundsicherung sollte aber auch armutsfest sein. Das bedeutet, dass man die Mittel erhöht, gerade für die 2,8 Millionen Kinder, die in Armut leben. Das wäre eine Investition in die Zukunft und damit in eine moderne Familienpolitik. Dem wird das Ehegattensplitting nicht gerecht.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.