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Zum Tod von Friedrich Schorlemmer: Er ermutigte, Widerspruch zu formulieren

Er war politisch engagiert, ohne je Politiker zu sein. Im Alter von 80 Jahren ist der Theologe und DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer verstorben. Seine unüberhörbare Stimme wird uns fehlen.

von Hans Misselwitz · 13. September 2024
Friedrich Schorlemmer im Jahr 2019: Unbequem, nicht nur in der DDR, sondern auch danach.

Friedrich Schorlemmer im Jahr 2019: Unbequem, nicht nur in der DDR, sondern auch danach.

Am Montag, den 9. September 2024, ist Friedrich Schorlemmer im Alter von 80 Jahren in Berlin gestorben. Er starb nach langer schwerer Krankheit. Seine unüberhörbare Stimme, getragen von innerer Freiheit, galt seinem leidenschaftlichen Engagement für Frieden und Gerechtigkeit fehlt uns. Sie wird uns weiter fehlen in diesen Zeiten zunehmender innerer und äußerer Friedlosigkeit.

Zorn gegen öffentliches Lügen und Verdummung

Geboren in der Altmark als Sohn eines Pfarrers machte er sein Abitur auf der Volkshochschule, studierte 1962 bis 1967 Theologie in Halle, danach war er Studentenpfarrer in Merseburg, Dozent am Predigerseminar in Wittenberg, seit 1992 Studienleiter an der dortigen Evangelischen Akademie. In seinem Beruf als Pfarrer war er immer auch Lehrer, der frei nach Immanuel Kant seinen Student*innen und Zuhörer*innen Mut machte, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Schorlemmer ermutigte, sich zu Wort zu melden, Widerspruch zu formulieren. Er war sich aber auch bewusst, dass unsere Sprache, die Worte im Alltag und in der Politik oft missbraucht, ihres Sinnes entleert werden. Unbequem wurde er in seinem Zorn gegen öffentliches Lügen und Verdummung, nicht nur in der DDR, sondern auch danach.

Dem Willy-Brandt-Kreis eng verbunden

Friedrich Schorlemmer war ein überaus politisch engagierter Zeitgenosse, ist aber kein Politiker geworden. Das höchste politische Amt war in den 90er Jahren der Fraktionsvorsitz für die SPD im Wittenberger Stadtparlament. 1997 war Friedrich Schorlemmer Gründungsmitglied des Willy-Brandt-Kreises, einer von den Persönlichkeiten aus West und Ost, , „die sich die Unabhängigkeit ihres Denkens bewahrt haben, ... ihren persönlichen Überzeugungen sicher bleiben, wenn sie mit Andersdenkenden Lösungen suchen“, wie die Initiatoren um Egon Bahr sie suchten. Von 2004 bis 2016 war Friedrich Schorlemmer Vorsitzender des Willy-Brandt-Kreises und blieb dem Kreis bis zuletzt verbunden. 

Friedrich Schorlemmer hat geschafft, was im politischen Diskurs immer seltener wird: Zusammenzuführen was zur Realität unserer Zeit gehört, die Widersprüche und die Lösungen, so auch, was zwischen Ost und West verschieden ist und doch zusammengehört. Und zu ermutigen, gemeinsame Ziele und Hoffnungen immer wieder neu zu formulieren. Das letzte Kapitel seines Buches über sein politisches Leben „Klar sehen und doch hoffen“ trägt den Titel „Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden“. Das ist ein gerade in diesen Zeiten auch ein Zuspruch, den wir brauchen.

Autor*in
Hans Misselwitz

In den 80er Jahren engagiert in der Oppositionsgruppe Pankower Friedenskreis, im Herbst 89 bei der Gründung der SDP. 1990 für die SPD in der Volkskammer und Regierung, 1991-99 in der Landesregierung Brandenburg, seit 1999 im Parteivorstand u.a. als Sekretär der Grundwertekommission.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 13.09.2024 - 12:41

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Dieser Aufruf 1983 in der DDR hat ihn in unser Gedächtnis gebracht und dafür wurde er auch im Westen gefeiert. Daß er auch gegen die (teils) völkerrechtswiedigen Angriffe der NATO oder einzelner Mitglieder dieser Organisation gegen Jugoslawien Afghanistan, Irak etc. protestiert hat, das hat dem Westen nicht so gefallen nd wird totgeschwiegen. Er hat sich schon in den 1990er Jahren für Versöhnung und gegen die Ossihetze von West-Politprominenz samt Medien stark gemacht. Er stand für viele sozialdemokratisch Grundüberzeugungen, von denen ich in der jetzigen SPD kaum noch was finde.
Seine Mahnung für Frieden und Versöhnung ist dringlicher denn je und sollte von aufrichtigen Sozialdemokraten nicht vergessen werden.

Gespeichert von Cay Gabbe (nicht überprüft) am Di., 17.09.2024 - 01:12

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Schwerter zu Pfugscharen

Der Artikel von Hans Misselwitz ist der Beste, den ich bisher zum Tod von Friedrich Schorlemmer gelesen habe.

Den Namen Friedrich Schorlemmer hörte ich zum ersten Mal im Januar 1990. Und das kam so.
An einem Sonntag füllte sich unsere kleine Kirche (in Königswinter-Oberpleis im rheinischen Siebengebirge gelegen) unerwartet mit vielen unbekannten Gästen. Sie kamen, wie sich bald zeigte, aus der DDR, aus Wittenberg und waren das erste Mal im Westen, in der Bundesrepublik. Wir kamen ins Gespräch und eine Frau zeigte mir einen von ihr selbst gebastelten Button aus Pappe, auf die das bekannte Bild mit der Aufschrift "Schwerter zu Pflugscharen" geklebt war. Sie betonte: das verdanken wir unserem Pfarrer Friedrich Schorlemmer und darauf sind wir stolz. Ich habe den Button bis heute immer gut aufbewahrt. Dieses unscheinbare Kleinod ist für mich ein kleines Symbol geworden für die Selbstermächtigung der Menschen in der DDR und die Wirkung, die Schorlemmer dabei hatte. Die Rückenstärkung, die er Menschen gab, gehört eng zu seinem politischen Engagement und Wirken.
Cay Gabbe

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