Wie der jüngste DGB-Vorsitzende Gewerkschaften wieder sexy machen will
Jennifer Weyland
Für Timo Ahr ist es ein Heimspiel, als er Ende Januar ein Stahlwerk in Völklingen besucht. Der 29-Jährige stammt aus einer echten Stahl-Familie. Schon sein Großvater arbeitete in der saarländischen Stahlindustrie, sein Vater ist Betriebsratsvorsitzender der Saarstahl AG in Völklingen, und auch Timo Ahr selbst arbeitete einst für das Unternehmen. Heute ist er der bundesweit jüngste DGB-Vorsitzende und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag.
Seit Juli verantwortlich für 120.000 Gewerkschaftsmitglieder
Beides ist das Ergebnis einer steilen Karriere, die der in Wadgassen geborene Politiker seit seinem Einzug in den Landtag vor gut einem Jahr hinlegte. Damals erreichte die SPD bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit, was eine Personalrochade in Gang setzte. Die bisherige saarländische Gewerkschaftschefin wurde Staatssekretärin und Ahr bekam plötzlich einen Anruf, ob er nicht ihr Amt übernehmen wolle. „Ich habe erst gedacht, das wäre ein Witz, sie werden doch wohl keinen 28-Jährigen zum Vorsitzenden wählen. Nach drei Anrufen habe ich aber gemerkt, sie meinen das ernst“, erzählt er im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Im Juli wurde er schließlich ins Amt gewählt und ist nun verantwortlich für mehr als 120.000 Mitglieder von acht Einzelgewerkschaften im Saarland. „Ich habe mich in die Gewerkschaftsarbeit verguckt und bin dann nicht mehr davon weggekommen“, sagt er. Während seiner Ausbildung bei Saarstahl, einem der größten Arbeitgeber im industriell besonders stark geprägten Bundesland, wurde er Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung. „An der Seitenlinie stehen und reinschreien, das ist gut, aber das kann jeder. Wir müssen aber auch Leute haben, die auf dem Platz stehen, gestalten und den Ball ins Tor schießen wollen. Das kann man nur, wenn man auch politisch Verantwortung übernimmt“, wählt Ahr einen sportlichen Vergleich.
Die Transformation im Blick
Vor seiner Wahl in den Landtag leitete er zwei Jahre lang die Transformationswerkstatt der IG Metall im Saarland. Viele, insbesondere emissionsreiche Branchen erleben derzeit einen enormen Wandel. Die Stahlindustrie beispielsweise hat im Saarland nicht nur eine mehr als 150-jährige Geschichte, sondern soll auch in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen. Dann aber klimaneutral, mit durch erneuerbare Energie gewonnenen Wasserstoff. Die Umbauten dafür laufen bereits an den Standorten in Dillingen und hier in Völklingen.
Die Halle für den geplanten Elektrolichtbogenofen (EAF), der den Stahl mithilfe von Strom statt mit Koks schmilzt, soll etwa 80 Meter hoch werden – 20 Meter höher als die derzeitige Halle. Das bestehende Gelände wird deutlich erweitert, Schienen und Transportwege werden neu verlegt. „Das erfordert am Ende eine planungstechnische Meisterleistung“, sagt Ahr. Möglich machen das unter anderem Gelder aus dem landeseigenen, drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds, den die SPD-Alleinregierung im vergangenen Jahr ins Leben gerufen hat.
Große Unterstützung und neuer „Drive“
An dieser Stelle ergänzen sich Landtagsmandat und DGB-Vorsitz gut. Schwieriger wird es beispielsweise während der Haushaltsverhandlungen, wenn die GEW mehr Geld für Erzieher*innen und die GdP mehr finanzielle Mittel für Polizist*innen forderten. Das auszutarieren und mitzugestalten, mache auf beiden Seiten Spaß, sagt er. Natürlich könne es da auch mal knallen, aber grundsätzlich eine es Partei und Gewerkschaft, dafür sorgen zu wollen, dass die Gesellschaft zusammenbleibe.
Damit wendet sich Ahr auch bewusst gegen einen Individualisierungstrend innerhalb der Gesellschaft, den er immer stärker wahrnehme, insbesondere in Start-Ups und kleineren Unternehmen. „Wir brauchen die Solidarität, und das geht am besten mit der Gewerkschaft“, sagt Ahr, der dafür sorgen will, „dass Gewerkschaften auch für junge Leute sexy sind“. Seit seiner Wahl zum Vorsitzenden spüre er einen neuen „Drive“ und große Unterstützung bei den Mitgliedsgewerkschaften.
Ihm gehe es jedoch nicht darum, Jung und Alt gegeneinander auszuspielen. Wichtiger sei der gesellschaftliche Zusammenhalt. So hat er beispielsweise dafür gesorgt, Auszubildende aus der Stahlindustrie und Aktivist*innen von Fridays for Future zusammenzubringen, um gemeinsam mehr im Kampf gegen den Klimawandel zu erreichen. Wichtig ist ihm angesichts des 90. Jahrestages der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai auch eine klare Haltung im Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen: „Was damals passiert ist, darf nie wieder passieren. Deswegen ist der Kampf gegen Rechts einer, der uns als Gewerkschaften täglich beschäftigt.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo