Parteileben

Warum ein parteiloser Bürgermeister jetzt SPD-Mitglied ist

Seit dreieinhalb Jahren ist Dirk Neubauer Bürgermeister der sächsischen Stadt Augustusburg – bislang ohne Parteibuch. Jetzt hat er sich entschlossen, in die SPD einzutreten. Mit dem „Schulz-Effekt“ habe das aber wenig zu tun, sagt er.
von Paul Starzmann · 8. Februar 2017
Neubauer
Neubauer

An das „Du“, wie es unter Genossen üblich ist, muss sich Dirk Neubauer noch gewöhnen. Gerade einmal drei Tage lang ist er Mitglied der SPD. Sein Interesse für Politik ist jedoch alles andere als neu: Seit dreieinhalb Jahren ist er Bürgermeister von Augustusburg, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge, 15 Kilometer östlich von Chemnitz.

„Ich werde das erklären müssen“

Zur Wahl angetreten war er als Einzelkandidat, ohne Parteibuch oder Unterstützung durch eine Wahlvereinigung. Gewonnen hat er trotzdem – mit 47 Prozent wurde er im September 2013 zum Bürgermeister der Stadt und ihren rund 4.500 Einwohnern gewählt.

Die Wähler hatten damals für einen parteilosen Kandidaten gestimmt. Jetzt haben sie seit Montag einen SPD-Bürgermeister. „Ich werde das erklären müssen. Das will ich aber auch“, sagt Neubauer. Die Gründe, warum er den Schritt gewagt und eine Mitgliedschaft in der SPD beantragt hat, sind vielfältig. Seit eineinhalb Jahren habe er mit dem Gedanken gespielt, in eine Partei einzutreten, erzählt er im Gespräch mit vorwärts.de. Sein Herz habe immer schon links geschlagen. Als Kind der DDR – wo „die Partei“ angeblich immer recht hatte – stand er der Mitgliedschaft in einer politischen Organisation aber lange skeptisch gegenüber.

Dulig-Effekt statt Hype um Schulz

Seine Entscheidung für das rote Parteibuch der Sozialdemokratie habe vor allem mit der Arbeit der Sachsen-SPD zu tun. Besonders begeistert habe ihn Martin Dulig, SPD-Landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. Von solche Leuten „braucht es mehr“, findet Neubauer und sagt als frischgebackenes Parteimitglied: „Ich will das jetzt unterstützen.“

Für ihn steht dabei ein spezielles Thema im Vordergrund: „Wir brauchen mehr Gerechtigkeit.“ Genau die zentrale Botschaft, die der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz derzeit ausgibt. Als Teil des „Schulz-Effekts“ – dem Ansturm auf die Parteibücher seitdem Schulz als Kanzlerkandidat ausgerufen wurde – sieht sich Dirk Neubauer dennoch nicht. Er sei „weniger Bestandteil des Hypes“. Für ihn war es gerade überzeugend, dass die örtlichen Genossen nie versuchten, ihn zu einer Mitgliedschaft zu überreden. Vielmehr habe ihn beeindruckt, wie die Aktiven in der sächsischen SPD ihm schon vor seinem Eintritt bei Parteiveranstaltungen immer Gehör geschenkt haben.

„Demokratie ist Mist“

Ein weiterer Grund, warum Neubauer jetzt SPD-Mitglied ist, hat direkt mit seiner Arbeit als Kommunalpolitiker zu tun. Gerade in Sachsen, wo die Stimmung im Moment ziemlich aufgeheizt ist, sei es nicht immer lustig, ein öffentliches Amt zu haben, schreibt Dirk Neubauer in seinem Blog. Er sei besorgt, dass in Deutschland die demokratische Diskussionskultur verloren geht. Bei vielen Bürgern spüre er anti-demokratische Tendenzen – manche seien der Meinung: „Demokratie ist Mist, wenn ich nicht Recht bekomme“. Solche Einstellungen findet Neubauer gefährlich. „Wir müssen wieder ins Gespräch kommen“, lautet seine Forderung – mit einem „Fingerzeig in beide Richtungen“. Gemeint ist: Anstatt mehr Polarisierung brauche die Gesellschaft mehr Miteinander. Ab und an sei es aber auch nötig, rechten Pöblern Einhalt zu gebieten – und ihnen zu sagen: „Was ihr vor Augen habt, ist nicht die Realität.“

Auf Dirk Neubauers Facebook-Seite sind die Kommentare zu seinem Eintritt in die SPD überwiegend positiv. „Für mich war es wichtig, diesen Schritt zu gehen“, sagt er. Er wolle ein Zeichen setzen und Position beziehen – auch um die demokratische Debatte in seinem Heimatort anzukurbeln. Jemandem nach dem Mund reden, will er dabei aber nicht. Trotz Parteibuch „will ich mir auch die Unabhängigkeit bewahren“, sagt er. Da könne es auch mal sein, dass er anderer Meinung sein wird als die Mehrheit seiner Genossen. Er scheint sich aber schon auf die vielen Diskussionen in der SPD zu freuen, wenn er sagt: „Die SPD muss mit mir zurecht kommen.“

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Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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