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Tarek Saad: Ein Syrer lebt die Sozialdemokratie

Im syrischen Bürgerkrieg wird Tarek Saad schwer verwundet und liegt fünf Tage im Koma. Er flüchtet nach Deutschland und findet hier eine neue Heimat. Heute studiert er in Kiel Politikwissenschaft und ist Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD Schleswig-Holstein.
von Jonas Jordan · 14. Februar 2019
Nach viereinhalb Jahren empfindet der Syrer Tarek Saad Deutschland als seine Heimat. Seit Dezember ist er Landesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt der SPD Schleswig-Holstein.
Nach viereinhalb Jahren empfindet der Syrer Tarek Saad Deutschland als seine Heimat. Seit Dezember ist er Landesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt der SPD Schleswig-Holstein.

Tarek Saad schüttelt Hände, schaut sich nervös um und lächelt. Etwa 300 Personen sind an einem Montagabend im Februar nach Hamburg gekommen. Zur Premiere des Dokumentarfilms „First Line“. Dieser behandelt Tarek Saads Inte­grationsgeschichte und beginnt in Neumünster. Dort hält der Syrer im November 2016 auf dem Landesparteitag der SPD Schleswig-Holstein seine erste Rede. Er möchte Torsten Albig unterstützen, der damals Ministerpräsident ist. Saad ist nervös, als er ans Mikrofon tritt. Er sagt: „Ich bin ein Flüchtling, weil wir Krieg haben in Syrien. Meine Schulter ist kaputt, für immer, aber ich will nicht jammern. Ich will leben, in Deutschland. Ich bin stolz, ein Sozialdemokrat zu sein.“

Albigs Umarmung auf dem Parteitag

Nach Saads Rede kommt Albig aufs Podium und umarmt ihn unter großem Applaus. „In diesem Moment war ­Torsten Albig Symbol für die ganze Sozial­demokratie in diesem Land. Ich hatte das Gefühl, dass der gesamte Landesparteitag mich umarmt hat“, sagt Saad gut zwei Jahre später während eines Gesprächs in der Mensa der Kieler Universität. Dort studiert er inzwischen Politik- und Islamwissenschaft und wohnt in einer WG mit zwei anderen Studenten. „Integration kann klappen, wenn wir Chancen anbieten“, sagt Saad.

Er bekommt diese Chance, als er 2014 nach Deutschland kommt. Zuvor ist er in Syrien als Journalist tätig. Er begleitet die Oppositionstruppen mit der Kamera. Im Einsatz an der Front wird er angeschossen. Saad ist klinisch tot, wird wiederbelebt und liegt fünf Tage im Koma. In Schleswig-Holstein beginnt für ihn nach seiner Flucht ein zweites Leben. Er kommt in die kleine Gemeinde Felde. Einer der ersten Menschen, denen der Syrer dort begegnet, ist Bürgermeisterin Petra Paulsen. Sie bringt ihm die deutsche Kultur näher, lädt ihn zu sich nach Hause ein. „Durch sie habe ich in Deutschland laufen gelernt“, berichtet Saad im Film.

Die Angst, sich frei zu äußern

Durch Petra Paulsen findet er auch seinen Weg in die SPD. Zunächst ist es ungewohnt für ihn, sich in einem freien Land politisch zu engagieren: „Es war neu für mich, dass ich einfach so meine Meinung sagen konnte.“ Delara Burkhardt kennt Saad aus der gemeinsamen politischen Arbeit in Schleswig-Holstein. „Er war am Anfang ein bisschen ehrfürchtig“, berichtet die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende. „Er trägt die sozialdemokratischen Werte tief in sich. Es ist so krass, wie er Demokratie lebt“, sagt Burkhardt, die an der Film­premiere in Hamburg teilnimmt.

Seit Dezember lebt der 25-Jährige Demokratie in neuer Funktion. Saad ist Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD Schleswig-Holstein. „Ich möchte wieder deutlich machen, dass die SPD in allen Bereichen die Partei der Gerechtigkeit ist. Da ist es ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit, dass ein Geflüchteter in verantwortlicher Position tätig ist“, sagt Saad und bekommt Lob von höchster Stelle. Ralf Stegner, Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, nennt ihn einen „sehr eindrucksvollen jungen Mann“. Stegner sagt: „Sein Engagement ist herausragend und ein sehr positives Beispiel für die SPD.“

Kritik an Seehofers Integrationspolitik

Nicht besonders positiv sieht Saad die Politik von Innenminister Horst Seehofer: „Es wird echt viel Geld in Abschiebezentren investiert. Das sollte man lieber in die Integration stecken.“ Zudem fordert der Student: „Es muss Schluss sein, über Flüchtlinge zu reden. Jetzt müssen wir über Integration reden.“

Seine eigene Integration ist nach viereinhalb Jahren in Deutschland so weit, dass er fast akzentfrei Deutsch spricht und zur Begrüßung „Moin“ sagt. „Deutschland ist meine Heimat geworden. Ich sehe hier meine Zukunft“, sagt Saad. Noch blickt er neidisch von Wahlkampfständen auf diejenigen, die wählen dürfen. Er sagt: „Ich freue mich, wenn ich irgendwann das Wahlrecht habe. Viele finden das normal, aber es ist eine große Verantwortung. Denn jeder, der wählen geht, verteidigt die Demokratie.“ Ob er dann auch selbst für ein Mandat antreten möchte, lässt er offen. „Es geht nicht um Tarek, es geht um das Thema“, sagt er zu seiner Zukunft.

Seine Gegenwart ist Zuspruch. Nach 40 Minuten ist die Premiere von „First Line“ vorbei. 300 Menschen stehen im Hamburger Kino „Magazin“ auf und klatschen. „Ihr seid großartig“, sagt Saad und verspricht: „Heute bin ich frei, und ich werde das immer verteidigen. Ich liebe es hier.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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