SPD-Debattenkonvent: Laut gegen Hass und Hetze im Internet
Dirk Bleicker; dirkbleicker.de
Wie beeinflusst die Digitalisierung die Arbeitswelt? Über diese Frage und was sie aus Sicht der Beschäftigten in den Betrieben bedeutet, entbrannte beim SPD-Debattenkonvent am Samstag in Berlin eine kontroverse Debatte. Auf der einen Seite der Autor und Digitalexperte Sascha Lobo, der in vielen Bereichen neues Denken im Hinblick auf digitale Umbrüche einforderte. Dem widersprach die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi vehement: „Du setzt Mitbestimmung gleich mit Verhinderungspolitik. Das zeigt, dass du keine Ahnung hast, wie Mitbestimmung läuft.“
Weiterbildung attraktiv machen
Sie sei überzeugt, dass neue Formen der Mitbestimmung zur Humanisierung, Produktivität und Innovationskraft in den Unternehmen beitragen könnten, sagte Fahimi. Wichtig sei insbesondere mit Blick auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, dass am Ende der Mensch entscheiden müsse. Dieser Position schloss sich auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken an: „Es kommt sehr darauf an, wie man KI einsetzt. Wir können die Zielsetzung der KI bestimmen durch Mitbestimmung in den Betrieben“, sagte sie. Esken wies zudem darauf hin, dass die Digitalisierung „wahnsinniges Potenzial birgt für Effizienzsteigerungen in Bereichen, wo Arbeit nicht viel Spaß macht“.
Einig waren sich Lobo und Fahimi später in der Bedeutung von Aus- und Weiterbildung angesichts der Herausforderungen im Kontext der digitalen Transformation. „Es ist eine extrem wichtige Frage, ob das Land in 20 Jahren noch so wohlhabend ist wie heute“, sagte Lobo. Denn diese Frage sei gleichbedeutend mit der Frage, ob die digitale Transformation gelinge. „Wir brauchen eine Verschmelzung von Arbeit und Bildung“, forderte er. Dem schloss sich Fahimi an. Zwar sei das Lernen am Arbeitsplatz schon Standard. „Trotzdem müssen wir Attraktivität für Weiterbildung schaffen.“ Man müsse weg von der Kultur kommen, dass Weiterbildungsangebote als Strafe oder Nachsitzen angesehen würde.
Hass und Hetze begegnen
Thema in der Debatte war – ausgehend von Eskens Rückzug von der Nachrichtenplattform Twitter – auch der zunehmend schwierige Umgang mit und in den sozialen Medien. Sie erneuerte in diesem Kontext ihre Forderung nach öffentlich-rechtlich kontrollierten sozialen Netzwerken, die auch Teil des Leitantrags ist, den die SPD am Sonntag auf dem Konvent beschließen will. „Wir sind auf diesen Plattformen keine Akteure, sondern Ware und werden als solche gehandelt.“ Um dem zu begegnen, müsse der Staat seine Rolle als Akteur der Daseinsvorsorge übernehmen.
Sascha Lobo wies auf das „Hass- und Hetze-Problem“ bei Twitter hin, das der Konzern tragischerweise nicht in den Griff bekommen habe. Tragisch sei das deswegen, weil Twitter aus seiner Sicht immer noch das wichtigste öffentliche Nachrichtennetzwerk der Welt, jedoch anfällig für Propaganda und Hetze sei. „Eigentlich wäre es sinnvoll, gesamteuropäisch einen extrem divers besetzten Rat zu schaffen, um zu diskutieren, wie solche Netzwerke im 21. Jahrhundert reguliert werden können“, schlug er vor.
Die Sucht nach Weiterentwicklung
Dagegen zeigte er sich skeptisch gegenüber der Idee öffentlich-rechtlich kontrollierter sozialer Netzwerke. „Die Menschen sind süchtig nach ständiger Weiterentwicklung der Plattformen. Das ist unglaublich teuer. Deswegen funktioniert das öffentlich-rechtlich nicht, sondern soziale Netzwerke sind dazu verdammt, sehr große private Konzerne zu sein.“ Auch Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder wies darauf hin, dass es mit den VZ-Netzwerken in Deutschland einst „sehr gute soziale Netzwerke“ mit vorbildlichen Datenschutzstandards gegeben habe, denen Facebook jedoch irgendwann den Rang abgelaufen habe.
Der Umgang mit Hass und Hetze in sozialen Medien war auch das dominante Thema im Podium zum Thema Sicherheit in der digitalen Gesellschaft. „Ich mag Twitter überhaupt nicht. Es ist so aggressiv“, sagte der Thüringer Innenminister Georg Maier. Er befürchte durch die Übernahme durch Milliardär Elon Musk „freie Bahn für Hass und Hetze“. Maier kritisierte in dem Kontext auch die Macht der Plattformen und Algorithmen. Verständnis zeigte er für Saskia Eskens Rückzug von der Plattform: „Was Saskia macht, finde ich mutig.“
Mehr Unterstützung für Betroffene von Hass und Hetze
Josephine Ballon von der Organisation HateAid forderte: „Meinungsfreiheit muss auch bedeuten, im Internet Räume zu schaffen, wo man auch seine Meinung sagen kann.“ Es gebe in Deutschland zwar eine solide Rechtsgrundlage, aber ein großes Problem bei der Druchsetzung, vor allem gegenüber Plattfromen, die nicht kooperierten, was sich Anfang des Jahres auch im Umgang mit Telegram zeigte. Zudem gebe bei den Betroffenen eine große Frustration, da es häufig schwierig sei, überhaupt Anzeige erstatten zu können.
Daher forderte auch die Professorin Beate Küpper, unter anderem verantwortlich für die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass der Umgang mit Anfeindungen statt auf der individuellen stärker auf einer institutionellen Ebene diskutiert werden müsse. Denn: „Gehetzt werden macht fürchtbar einsam.“
Bürgernahe Polizei auch im Internet
Dem gegenüber zeigte sich Jochen Kopelke, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP offen. Er wünsche sich eine bürgernahe Polizei auch im Internet, sagte er. Dafür brauche es aber eine bessere Ausstattung für die Polizei in diesem Bereich. Es kratze am Ego der Gewerkschaft, dass Missstände in Bezug auf Anzeigen im Bereich Hasskriminalität beispielsweise erst durch Recherchen von Jan Böhmermann ans Licht kamen. „Wir wollen, aber wwir können momenzan nicht so, wie wir wollen“, kritisierte Kopelke.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo