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Einbeziehung behinderter Menschen: „SPD ist deutlich vorangekommen“

Vor zehn Jahren wurde die AG Selbst Aktiv in der SPD gegründet, um die Belange behinderter Menschen besser zu vertreten. „Wir fühlen und wahr- und ernstgenommen“, sagt der Bundesvorsitzende Karl Finke, sieht aber noch Verbesserungsbedarf.
von Kai Doering · 3. Dezember 2021
Karl Finke, Vorsitzender der SPD-AG Selbst Aktiv: Wir möchten, dass jeder zehnte Platz auf einer Landes- oder der Bundesliste mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird.
Karl Finke, Vorsitzender der SPD-AG Selbst Aktiv: Wir möchten, dass jeder zehnte Platz auf einer Landes- oder der Bundesliste mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird.

Menschen mit Behinderung trifft die Corona-Pandemie besonders hart. Das war schon im vergangenen Jahr zum Tag der Menschen mit Behinderung ein großes Thema. Wie ist die Situation aktuell?

Das brennendste Thema ist im Moment wohl das Impfen. Auch das war im letzten Jahr ja schon aktuell, weil im Dezember die Impfkampagne anlief. Jetzt steht natürlich das Boostern im Mittelpunkt. Soweit wir wissen, sind die allermeisten Menschen mit Behinderung geimpft bzw. zur Impfung bereit. Das Problem ist eher die Umsetzung, vor allem bei denjenigen, die alleine wohnen. Viele können sich nicht stundelang in einer Schlage vor einem Impfzentrum anstellen. Behinderte Menschen brauchen deshalb extra Impftermine. In Hannover haben wir das bereits durchgesetzt.

Schon vor Corona war die Situation für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt schwierig. Die Pandemie hat das noch weiter verschärft. Wo sehe Sie die größten Probleme?

Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung ist doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Die Pandemie hat bereits bestehende Probleme weiter verschärft. Der Koalitionsvertrag setzt zum Glück deutliche Akzente, die die Situation behinderter Menschen sicher verbessern werden.

Welche sind das?

Die Koalition setzt einen klaren Schwerpunkt bei der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung. Dafür will sie ein Entgeltsystem in den Werkstätten für behinderte Menschen einführen. Auf der anderen Seite soll künftig die Abgabe, die Unternehmen zahlen müssen, wenn sie keine behinderten Menschen beschäftigen, zu hundert Prozent für die Integration behinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt verwendet werden. Das ist ein klares Signal, dass sie nicht zur Stabilisierung von Sonderarbeitsverhältnissen genutzt wird. Auch die geplante Stärkung von Inklusionsbetrieben als Bindeglied halte ich für eine sehr gute Maßnahme.

Wie sieht es mit der Bezahlung aus? Da wird ja gerade in Werkstätten zurzeit manchmal nur ein Taschengeld gezahlt.

Das stimmt. Allerdings arbeitet die übergroße Zahl der Menschen mit Behinderung außerhalb von Werkstätten. Deshalb fordern wir als „Selbst Aktiv“ auch schon lange den Mindestlohn für Menschen mit Behinderung. Entsprechende Berechnungsmodelle gibt es da bereits. Perspektivisch stellen wir uns eine tarifgerechte Entlohnung für die geleisteten Tätigkeiten vor.

Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag als Präsident des niedersächsischen Behinderten-Sportverbands?

Da bin ich froh, dass die Rolle des inklusiven Sports hervorgehoben wird. Das Projekt „InduS“ aus dem Emsland hier bei uns in Niedersachsen wird sogar ausdrücklich im Koalitionsvertrag erwähnt. Davon ausgehend wollen wir ein bundesweites Modellprojekt initiieren. Ein zweiter wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht, dass inklusive Sportligen gefördert werden sollen. Hier freut es mich besonders, dass Fußballverband, Behindertensportverband und der Dachverband der Werkstätten erstmals zusammenarbeiten.

Bei der Bundestagswahl durften erstmals 85.000 Menschen mit Behinderung ihre Stimme abgeben. Wurde das von vielen genutzt?

Eine genaue Erfassung gib es da nicht, aber soweit ich es überblicke, war das Interesse schon sehr groß. Letztlich geht es beim Wahlrecht um ein Grundrecht. Die Initiative für die Wahlrechtsreform kam übrigens von „Selbst Aktiv“. Gestartet haben wir sie auf unserer Bundeskonferenz in Hannover. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen als Sozialministerin von Rheinland-Pfalz hat Malu Dreyer die entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Deshalb bin ich sehr froh, dass das neue Wahlrecht nun erstmals angewendet wurde. Allerdings muss man einschränkend auch sagen: Wir haben jetzt das aktive Wahlrecht gestärkt. Das passive muss nun schnell folgen. Das Bewusstsein für Menschen mit Behinderung als Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ist in vielen Parteien noch nicht sehr ausgeprägt. Auch das ist aber entscheidend, wenn wir über Diversität sprechen.

Was stellen Sie sich da bezogen auf die SPD konkret vor?

Wir möchten, dass jeder zehnte Platz auf einer Landes- oder der Bundesliste mit einem Menschen mit Behinderung besetzt wird. Es ist zentral, dass behinderte Menschen in politische Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Auch hier hat der Koalitionsvertrag übrigens gute Ansätze. Wir fordern allerdings, dass er auch in leichte Sprache übersetzt wird.

Die AG „Selbst Aktiv“ in der SPD wurde vor zehn Jahren offiziell gegründet. Ist die Partei seitdem inklusiver geworden?

Ja, ich denke schon. Die SPD ist in diesen zehn Jahren deutliche Schritte vorangekommen, was die Einbeziehung behinderter Menschen angeht. Wir fühlen und wahr- und ernstgenommen. Trotzdem sind noch Punkte offen, etwa was die erwähnte Frage der Repräsentanz angeht. Politisches Handeln darf sich nicht aus dem guten Willen Einzelner ableiten, sondern muss aus einem klaren Regelwerk wie den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention kommen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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