Mehr Führung wagen: Was Polen mit Europa vorhat
In einer Zeit großer Herausforderungen hat Polen die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die Regierungen der anderen EU-Länder sollten sich auf einen selbstbewussten Partner einstellen. Polens Premier Donald Tusk richtet eine unbequeme Botschaft an sie.
imago/NurPhoto
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk bei einer Pressekonferenz in Warschau.
Das Jahr 2025 bringt eine neue EU-Kommission, Donald Trump als US-Präsidenten, Wahlen in Deutschland und höchstwahrscheinlich in Frankreich sowie den Fortgang des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Und es bringt die polnische EU-Ratspräsidentschaft.
Nach der höflich formuliert unproduktiven ungarischen Präsidentschaft übernahm Polen am 1. Januar turnusgemäß den Vorsitz im Rat der EU. Einen Monat zuvor wurde Kaja Kallas, Ex-Premierministerin von Estland, zur neuen Kommissarin für Außenpolitik gewählt. Enorme Aufgaben haben sie zu bewältigen, verbunden mit den Namen Putin und Trump. Der eine führt Krieg in Europa, den der andere meint, in kürzester Zeit und im Zweifel ohne NATO und die Europäer*innen beenden zu können.
Donald Tusk: Polen will den Ton angeben
Forsch und selbstbewusst will Polens Premier Donald Tusk unter dem Motto
„Sicherheit Europa!“ dabei zu Werke gehen. Seine programmatische Vorgabe: „Es liegt mir sehr daran, dass Polen der Staat sein wird, der nicht nur die ganze Zeit dabei ist, sondern den Ton angibt bei den Entscheidungen, die uns Sicherheit bringen und unsere Interessen sichern sollen.“
Auf Deutschland und Frankreich will Tusk nicht warten, eher schon Druck ausüben. Ein Kanzler im Wahlkampf scheint ihm ein ebenso unsicherer Kantonist wie ein Präsident ohne Mehrheit im nationalen Parlament. Das letzte Dreier-Treffen Tusk, Macron, Scholz datiert auf den
15. März 2024. Im Dezember war Scholz nicht zugegen.
Vom Weimarer Dreieck, 1991 mit dem Ziel gegründet, das traditionelle Tandem Deutschland-Frankreich als „Motor der EU“ um Polen zu erweitern, um so die damals jungen Demokratien Osteuropas besser in die EU zu integrieren, ist nicht länger die Rede. Beide Regierungen sind zuvorderst mit sich selbst beschäftigt und haben sich international aus dem Spiel genommen.
Ein Signal an Viktor Orbán und Giorgia Meloni
Tusk sendet das Signal gestiegenen Selbstbewusstseins aller östlichen EU-Mitglieder – an die „alte EU“, wie an die Fraktion Meloni-Orbán: nicht vorrangig um Subventionen zu streiten, sondern politische Führung übernehmen zu wollen.
Donald Tusk
Also mein Vertrauen geniest dieser Herr nicht, ebensowenig die Frau Kallas.
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„Polen richtet eine unbequeme Botschaft an die EU: … politische Führung übernehmen“. Was dieses „Signal gestiegenen Selbstbewusstseins aller östlichen EU-Mitglieder“ bedeutet, ist mit Kay Walter schnell erklärt: „den Ton anzugeben bei den Entscheidungen, die uns Sicherheit bringen und unsere Interessen sichern.“
Das (nahezu) einzige Interesse derzeit ist, massiv aufzurüsten, also „in unsere Sicherheit zu investieren“, denn wir sind zu mehr „Abschreckung gezwungen“ (Zellner, Blätter … ,4´22). Niemand weiß das besser als Polen, das, vergleichbar den baltischen Staaten, schon immer unter seinem östlichen Nachbarn zu leiden hatte. Im 16. Jahrhundert war Polen „einer der mächtigsten Staaten in Europa“ (lpb, Geschichte Polen), ehe es im 18. Jahrhundert durch Russland von der Landkarte getilgt wurde. Nach dem ersten Weltkrieg wieder als Vielvölkerstaat neu erstanden, teilte Russland es im berüchtigten „…-Stalin-Pakt“ (September 1939) erneut unter sich auf.
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Ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges war ein neues, von Russland nach Westen verschobenes Polen, das aus seiner leidvollen Geschichte wie kein zweites Land in Europa das imperiale Monster an seiner Ostgrenze kennt, das sich neuerdings sogar Grönland, Canada und Panama einverleiben will (oder verwechsele ich da was)?
Die Erfahrungen prädestinieren Polen, Europas Politik gegenüber Russland zu bestimmen, unterstützt dabei von den drei baltischen Staaten, die zusammen mal gerade 6 Mio. Einwohner haben, aber mit Kaja Kallas (Außen- und Sicherheitspolitik), Andrius Kubilius (Verteidigung und Raumfahrt) sowie Valdis Dombrovskis (Wirtschaftlichkeit und Produktivität) drei von 27 Mitglieder der Europäischen Kommission stellen – ausgewiesene Putin-Versteher.
Es ist auch völlig klar, dass zu der katastrophalen Lage, in der wir uns derzeit befinden, unsere Dummheit massiv beigetragen hat, in den Jahren 2000 bis 2022 „die Interessen und Perspektiven unserer ost- und mitteleuropäischen Partner
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nicht ausreichend berücksichtigt“ zu haben, wie Klingbeil „einer Neuausrichtung der sozialdemokratischen Außenpolitik“ mit auf den Weg gab (19.10.22). Dass aber, wie manche einzuwenden wagen, die Nato-Osterweiterung irgendeine Rolle dabei gespielt hat, ist ein albernes Ammenmärchen – freundlich ausgedrückt. Darum haben - mit Beifall Tusks - SPD und EU „im Konflikt mit Putins Russland eines ihrer erfolgreichsten Instrumente wiederentdeckt: die Erweiterungspolitik“. Folgerichtig „gilt für unsere künftige Osteuropapolitik, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für die Aufnahme der Ukraine, Moldaus und perspektivisch Georgiens zu schaffen“.
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Die „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ (20.1.23) folgten Klingbeils Vorgaben; das SPD-Wahlprogramm machte daraus Nägel mit Köpfen und postulierte, „für uns sind militärische Stärke und Diplomatie zwei Seiten der gleichen Medaille“ - die dazu nötige Kriegstüchtigkeit der Bevölkerung wird sich sicher noch einstellen.
Zusammengefasst: „Was Polen mit Europa vorhat“ kann man nur fälschlicherweise als „Schwanz, der mit dem Hund wedelt“, missverstehen.
Donald Tusk
Was in der Biographie von Donald Tusk, und anderer osteuropäischer Politiker, fehlt ist seine Schulung in den USA. Das erklärt teilweise die Empfindung, daß Polen etc. den USA näher stehen als der EU. Ob das dann soooo gut ist für die europäische Integration sollte man hinterfragen.