Warum es eine feministische Perspektive auf Mobilität braucht
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„Sehr geehrte Frau Rhie, sehr geehrte Herren…“ – so beginnen seit Jahren viele meiner Sitzungen und Termine, die ich als mobilitätspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Aachen wahrnehme. Der Grund: In der Mobilitätspolitik engagieren sich sogar noch weniger Frauen als in der Kommunalpolitik überhaupt und das ist ein Problem.
Dass Frauen in der Politik nicht ausreichend repräsentiert sind, wird oft diskutiert. Doch wenn wir über die Besetzung von Gremien und Ämtern sprechen, geht es nicht nur um Repräsentation. Es geht um viel mehr. Es geht darum, die weibliche Perspektive und Erfahrungen in sämtliche politische Entscheidungen einfließen zu lassen und damit auch die andere Hälfte der Bevölkerung zu berücksichtigen. Und zwar nicht nur in der Gleichstellungspolitik, sondern auch in der Mobilitätspolitik oder der Stadtplanung.
Frauen bewegen sich anders fort als Männer
Frauen nutzen öffentliche Verkehrsmittel häufiger als Männer. Frauen gehen mehr zu Fuß als Männer. 65 Prozent der zugelassenen PKW sind auf Männer registriert. Das sind nur ein paar Punkte, die belegen: Mobilität und Verkehr sind nicht geschlechtsneutral. Dementsprechend gibt es auch unterschiedliche Erfahrungen und Bedürfnisse an Mobilität.
Der Grund dafür ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Auch wenn sich diese langsam angleicht, sind es immer noch mehr Frauen, die die Care-Arbeit übernehmen, sich um Kinder, den Einkauf und die Pflege von Angehörigen kümmern. Und das hat unweigerlich Auswirkungen auf ihr Mobilitätsverhalten. Während Männer häufig morgens den Weg zur Arbeitsstätte und abends wieder zurück nach Hause fahren, bewegen sich Frauen häufig komplexer. So kommen Wege zum Supermarkt hinzu, das Abholen des Kindes in der Kita oder bei der Freundin und die Begleitung von Pflegebedürftigen zu Ärzt*innen
Unsere Wegebeziehungen sind häufig nicht darauf ausgelegt, viele kurze Wege miteinander zu verbinden. Auch Straßenbelage können eine Barriere sein, wenn es darum geht, mit dem Rollstuhl, Kinderwagen oder Schuhen mit hohen Absätzen ein Kopfsteinpflaster zu überwinden. In Städten und auf Straßen, in denen das Auto dominiert, richten sich Mobilitätskonzepte häufig nach einem Standard: jung, fit, wohlhabend und männlich. Diese Fokussierung und Bevorteilung des Autos ist seit Jahrzehnten in der Stadtplanung verankert. Doch langsam entsteht Veränderung, vor allem im städtischen Raum.
Was sich verändern muss
Diese Veränderung kommt nicht nur Frauen zugute, sondern allen Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – gegen das Auto entscheiden (müssen). Feministische Verkehrsplanung heißt, Gehwege zu schaffen, die breit genug sind, damit sie auch mit dem Rollstuhl oder dem Kinderwagen befahrbar sind. Feministische Verkehrsplanung heißt, Angsträume zu reduzieren, Wege auszuleuchten und damit die (subjektive) Sicherheit von Frauen zu stärken. Feministische Verkehrsplanung heißt am Ende: Mobilität für alle. Denn schließlich hat sich das Verkehrsverhalten von uns allen schneller verändert als sich die Städte weiterentwickelt haben.
Damit sich was verändert, braucht es nicht nur mehr Frauen auf allen Ebenen der Politik und in den (städtischen) Verwaltungen. Es braucht Veränderungen in unserer Gesellschaft. Und damit braucht es vor allem ein Ende der traditionellen Geschlechterrollen, damit auch die Arbeit zwischen den Geschlechtern fair aufgeteilt wird. Damit schaffen wir es, neue Perspektiven einzunehmen und gemeinsam andere Anforderungen an Mobilität zu stellen als bisher. Nur so schaffen wir es, unsere Straßen, Plätze und schlussendlich Städte für alle besser, nutzbarer und damit lebenswerter zu machen. Und nur so wird es irgendwann viel häufiger „Sehr geehrte Damen und Herren“ heißen.
photothek.net
ist SPD-Bundestagsabgeordnete und mobilitätspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Aachen.