Meinung

Nach Selenskyjs Rede im Bundestag: Union zeigt sich respektlos

CDU und CSU versuchen die ergreifende Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag für parteipolitische Spielchen zu instrumentalisieren. Die mangelnde Sensibilität von Friedrich Merz spricht Bände. Ein Kommentar.
von Karin Nink · 17. März 2022
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist für eine Rede in den Bundestag zugeschaltet.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist für eine Rede in den Bundestag zugeschaltet.

Wie beschämend! Die Union hat mit dem Auftritt ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz und ihrem unerwarteten Antrag auf Änderung der Tagesordnung des Bundestags – bewusst oder unbewusst – versucht, Putins Krieg in der Ukraine und die ergreifende Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für parteipolitische Spielchen zu instrumentalisieren. Anders lässt sich nicht erklären, dass CDU und CSU am Mittwoch zunächst zugestimmt hatten, nach Selenskyjs Rede keine Aussprache stattfinden zu lassen, um dann am Donnerstag direkt im Anschluss an die Rede die Tagesordnung ändern zu wollen

Bilder der streitenden Abgeordneten werden um die Welt gehen

Man kann darüber reden, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Bundestagsvizepräsidenten Katrin Göring-Eckardt nach der Rede von Selenskyj die Sitzung des Bundestags kurz unterbrochen hätte. Das hätte den Eindruck vermieden, das Parlament ginge nach den eindringlichen Worten aus dem belagerten Kiew einfach zur Tagesordnung über. Doch das Verhalten der Union bleibt so oder so würde- und respektlos. Und dass ausgerechnet die Linkspartei, deren Position zu Putins Angriff auf die Ukraine alles andere als eindeutig ist, sich neben der AfD dieser Haltung anschloss, machte die Situation nicht besser. Die Bilder der streitenden Abgeordneten werden um die Welt gehen.

Dabei hätte gerade die Rede von Selenskyj Respekt und Reflexion aller im Bundestag vertretenen Parteien mehr als verdient. An dieser Stelle muss kurz daran erinnert werden, dass aus gutem Grund nach der Rede eines Staatsoberhauptes im Bundestag üblicherweise nie eine Debatte erfolgt. Auf diese Art und Weise würdigen und respektieren die Parlamentarier*innen die Worte des Gastes und nehmen dessen Ausführungen nicht zum Gegenstand oder Anlass für parteipolitische Auseinandersetzungen. Das ist gute parlamentarische Tradition. Dieser Regel folgten nach einer Selenskyj-Rede übrigens auch der US-Kongress und selbst das britische Unterhaus. Und Platz für Debatten gab es ja auch bereits während der Aktuellen Stunde am Tag zuvor.

Selenskyjs Rede nicht vergessen

Friedrich Merz aber glaubte, es besser zu wissen und brach mit dieser Tradition ausgerechnet nach den Worten des ukrainischen Präsidenten und ihm Beisein des ukrainischen Botschafters. So viel mangelnde Sensibilität spricht Bände. Merz attackierte, assistiert von Linkspartei und AfD, in aufgebrachter Art die Bundesregierung und den Kanzler – offenbar in der Hoffnung, mit einer Schaufensterdebatte ein paar Punkte bei Wählerinnen und Wählern einheimsen zu können.

Es bleibt jeder und jedem selbst überlassen, sich dazu seine eigenen Gedanken zu machen. Die Rede des ukrainischen Präsidenten jedenfalls, in der er sich auch an alle Deutschen wandte, war definitiv nichts hinzuzufügen. Wir sollten sie nicht vergessen!

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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