Meinung

Flüchtlingsdrama: Ursula von der Leyens gebrochenes Versprechen

Schon vor Monaten hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen europäischen Migrationspakt zur Lösung der Flüchtlingsfrage angekündigt. Passiert ist nichts. In Moria rächt sich das nun.
von Karin Nink · 10. September 2020
Migrationspakt versprochen, aber bisher nichts vorgelegt: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Migrationspakt versprochen, aber bisher nichts vorgelegt: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Fast auf den Tag vor zehn Monaten – sie war als neue EU-Kommissionspräsidentin noch nicht offiziell im Amt – kündigte Ursula von der Leyen einen europäischen Migrationspakt an. Der Vorschlag sollte im ersten bis zweiten Quartal 2020 vorgelegt werden. Damit wolle sie zeigen „wie man Migration nachhaltig, mit humanem Ansatz, aber effektiv steuern kann“.

Von der Leyen glänzt mit beredtem Schweigen

Wir sind jetzt am Ende des dritten Quartals 2020, doch von dem Migrationspakt, den von der Leyen – wohlgemerkt – vor ihrer Wahl durch das EU-Parlament so vollmundig angekündigt hat, ist nichts zu sehen oder zu hören. Stattdessen fällt die EU-Kommissionspräsidentin, die doch sonst gerne im Licht der Öffentlichkeit  glänzt, durch beredtes Schweigen auf – während sich die Lage der Flüchtlinge aus dem griechischen Flüchtlingscamp Moria weiter zuspitzt.

Die erste Frau Europas sagt dazu – nichts. Auch nicht in den sozialen Medien, die sie sonst so gerne nutzt. Dabei kommen die Dramatik und die Not der Geflüchteten nicht überraschend: Das Lager ist seit langem grenzenlos überfüllt. Griechenland wird mit der Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung allein gelassen, denn die EU-Länder können sich nicht auf eine gemeinsame und humane Aufnahme- und Verteilungspolitik einigen.

Die EU findet keine Lösung

Der aus dieser Hilflosigkeit entstandene Pakt, den die EU vor einigen Jahren mit der Türkei eingegangen ist, schaffte zwar zunächst Erleichterung und half, zumindest vorübergehend die Situation für syrische Flüchtlinge zu regeln. Aber dann wurde er von dem türkischen Präsidenten Erdogan Anfang des Jahres als Erpressungspotential genutzt. Erdogan schickte Geflüchtete zurück an die griechische Grenze, was dort zu massiven Spannungen führte. Die Geflüchteten landeten im Nirgendwo. Die EU fand auch damals keine Lösung. Und schließlich war abzusehen, dass das Corona-Virus sich in den überfüllten Flüchtlingslagern ausbreiten würde. Dass es sich in Moria erst jetzt nachweislich verbreitet hat, überrascht eher.

Von der Leyen hat all diese Signale ignoriert und sowohl die Geflüchteten wie auch Griechenland allein gelassen. Sicher hätte auch sie die Problematik nicht sofort lösen können, aber mit der Autorität ihres Amts hätte sie in einzelnen Mitgliedsländer Druck aufbauen können. Das hat von der Leyen nicht getan. Sie hat ihr vollmundiges Versprechen von vor der Wahl nach der Wahl nicht eingelöst. Jetzt ist es zumindest für die Lage der Moria-Flüchtlinge zu spät, dass die Kommission eine Lösung sucht, selbst wenn sie am Freitag eine Vorlage machen würde.

Die Mitgliedsstaaten sind gefordert

Die einzelnen Mitgliedsländer müssen nun kurzfristig und human handeln. Und da ist Bundesinnenminister Horst Seehofer gefragt. Schließlich gibt es in Deutschland seit Monaten die Zusage mehrerer Bundesländer und Gemeinden, Flüchtlinge aufzunehmen – darunter auch unionsgeführte. Seehofer muss nur zustimmen.

In einem weiteren Schritt sollte er kurzfristig eine Konferenz seiner europäischen Amtskollegen zu dieser Frage einberufen, um auch andere Länder von der Aufnahme der in äußerste Not geratenen Menschen zu überzeugen. Schließlich hat Deutschland gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne. Seehofer aber schweigt eisern.

Von der Leyen und Seehofer haben eins gemeinsam: Beide verkünden und versprechen in der Öffentlichkeit gerne viel, ohne sich daran gebunden zu fühlen. So lässt sich Politik nicht nachhaltig gestalten.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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