Meinung

Aus der Geschichte lernen: Was das für die SPD-Außenpolitik bedeutet

Die Lehren und Erfahrungen deutscher Geschichte können nicht einfach anderen Ländern übergestülpt werden. Deutschland muss deren eigene Geschichte als Referenzrahmen anerkennen. Für die SPD ist das zentral, will sie ihre Außenpolitik neu ausrichten.
von Sarah Pagung · 23. Juni 2023
Abbau des sowjetischen Denkmals für den Zweiten Weltkrieg im lettischen Riga: Die Lehren und Erfahrungen deutscher Geschichte können nicht einfach anderen übergestülpt werden.
Abbau des sowjetischen Denkmals für den Zweiten Weltkrieg im lettischen Riga: Die Lehren und Erfahrungen deutscher Geschichte können nicht einfach anderen übergestülpt werden.

Geschichte prägt Politik: Sie formt strategische Kulturen, Werte und Weltbilder und setzt damit Rahmenbedingungen für gegenwärtiges politisches Handeln. Politik prägt aber auch Geschichte. Zeitgenössische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen verändern den Blick auf Vergangenes und nicht selten auch die Geschichtsschreibung selbst.

Deutschland will aus seinen Fehlern lernen

Dies gilt auch für Deutschland. Die Brutalität und Menschenverachtung des Dritten Reichs bildet den Referenzpunkt innenpolitischen, aber vor allem außenpolitischen Handelns. Deutschland will aus seinen Fehlern lernen, will Frieden schaffen, nicht zerstören. Auch die deutsche Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine ist geprägt von diesem Bestreben. Die Verantwortung, die aus den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs für das heutige Deutschland entspringt, bildet einen Fixstern der Debatte.

Sie ist einer der Gründe, warum Waffenlieferungen an die Ukraine und damit die Vorstellung, dass deutsche Panzer in Osteuropa rollen, für viele schwer zu ertragen ist. Die Losung „Nie wieder Krieg!“ wird von einem Teil der Bevölkerung mit „Nie wieder Waffen!“ sowie mit dem Wunsch nach einem schnellstmöglichen Ende des Kriegs. Dieser Zusammenhang mag auf den ersten Blick einleuchtend wirken, greift jedoch zu kurz als zentrales Prinzip deutscher Vergangenheitsbewältigung.

Ein Perspektivwechsel ist notwendig

Denn dieser Ansatz bildet die Lehre des Zweiten Weltkriegs aus einer bestimmten Perspektive ab: der des angreifenden Staates. Hätte Deutschland nicht zu den Waffen gegriffen oder wären ihm die militärischen Mittel früher ausgegangen, wäre millionenfaches Leid erspart geblieben. Diese Erkenntnis gilt jedoch nicht für die Staaten, die angegriffen wurde. Eine schlechte oder gar keine Bewaffnung hätte den Krieg für die Menschen nicht abgewendet. Ganz im Gegenteil: Militärische Unterstützung für angegriffene Staaten hat nicht nur ihre Verteidigung, sondern letztlich auch den Sieg über Hitler-Deutschland ermöglicht, wie das Beispiel der US-amerikanischen und britischen Unterstützung für die Sowjetunion zeigt.

Die deutsche Vergangenheitsbewältigung lässt sich somit nicht einfach übertragen oder pauschal verallgemeinern – erst recht nicht auf die Ukraine, die heute wie damals angegriffen wird. Die Lehren und Erfahrungen deutscher Geschichte können nicht einfach anderen übergestülpt werden, sondern ihre eigenen Geschichten müssen als Referenzrahmen anerkannt werden. Dieser Perspektivwechsel ist notwendig, wenn das Ziel sozialdemokratischer Außenpolitik, den Erfahrungen und Interessen der mittel- und osteuropäischen Partner eine größere Bedeutung zuzumessen, erfüllt werden soll.

Was das für die Außenpolitik der SPD bedeutet

Eine reflektierte und in die jeweiligen Erfahrungskontexte eingebettet Vergangenheitsbewältigung kann zudem die Grundlage für eine mutigere Außenpolitik sein, die militärische Instrumente angemessen einsetzt, um Frieden – oder zumindest die Abwesenheit von Krieg – zu fördern. Eine sozialdemokratische Außenpolitik, muss nicht nur aus den Fehlern der deutschen Vergangenheit lernen, sondern auch sicherstellen, dass die deutsche Vergangenheitsbewältigung aktuellen Ereignissen gerecht wird. Und eine sozialdemokratische Außenpolitik muss dies and die Bevölkerung kommunizieren.

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Autor*in
Sarah Pagung

ist Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik. Sie ist Programmleiterin Auswärtige Politik bei der Koerber-Stiftung.

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