Kultur

Wo heute Bücher verbrannt und Autor*innen verfolgt werden

Am 10. Mai 1933 brannten an vielen Orten in Deutschland Bücher. Ihre Autor*innen waren von den Nazis als „undeutsch“ eingestuft worden. Heute werden weltweit mehr Schreibende denn je verfolgt.
von Kai Doering · 10. Mai 2023
Bücherverbrennung am 10. Mai 1933: Heute braucht es häufig keine Scheiterhaufen mehr.
Bücherverbrennung am 10. Mai 1933: Heute braucht es häufig keine Scheiterhaufen mehr.

Das Feuer wurde begleitet von Johlen und Applaus. Als der evangelikale Pastor Greg Locke im Februar vergangenen Jahres in die Stadt Mount Juliet im US-Bundesstaat Tennessee einlud, um dort „dämonische“ Bücher aus der Harry-Potter-Reihe oder der Vampir-Sage „Twilight“ zu verbrennen, folgten seinem Aufruf Dutzende. Die Bücherverbrennung wurde live auf Facebook übertragen. Sie kann noch heute auf Videos im Internet angeschaut werden. Pastor Locke ist in den USA kein Unbekannter: Regelmäßig verbreitet er Verschwörungstheorien und gilt als starker Unterstützer des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. In den sozialen Medien erreicht er Millionen Menschen.

Corona als Katalysator

Wenn in Deutschland der Begriff „Bücherverbrennung“ fällt, kommen den meisten die Bilder vom 10. Mai 1933 in den Kopf. Auf dem Berliner Bebel-Platz wurden mehr als 20.000 Bücher und Schriften von als „undeutsch“ geltenden Autorinnen und Autoren verbrannt, darunter Werke von Heinrich Heine, Thomas Mann, Erich Kästner und Bertolt Brecht. Auch in anderen Städten wie Bonn, Göttingen, Greifswald und Würzburg gab es Bücherverbrennungen. Viele der Autoren hatten da bereits das Land verlassen. „Was hat Professoren und Schriftsteller dazu gebracht, sich aktiv an der Vertreibung ihrer jüdischen oder sozialdemokratischen Kollegen aus Ämtern und Funktionen zu beteiligen?“, fragte der damalige Bundespräsident Johannes Rau am 70. Jahrestag der Bücherverbrennungen 2003. Diese stünden als ein Symbol für „den Versuch, das freie Denken zu verbieten“.

Dafür braucht es heute keinen Scheiterhaufen mehr. Weltweit werden Schreibende mehr denn je verfolgt. Aus Sicht der Schriftstellervereinigung PEN spielt dabei die Corona-Pandemie autoritären Regimen in die Hände. So wurde die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga im vergangenen Herbst zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Im Sommer 2020 hatte sie mit anderen für die Freilassung inhaftierter Journalisten und „ein besseres Simbabwe für alle“ protestiert. Das Gericht warf ihr u. a. den Verstoß gegen Corona-Auflagen vor. Inzwischen hat sie ein Schreibstipendium in den USA. 2021 wurde Dangarembga mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Zurzeit ist sie mit ihrem Buch „Schwarz und Frau“ in Deutschland auf Lesereise.

Auf der Flucht vor Erdogan

Meral Simsek lebt seit Juli vergangenen Jahres in Deutschland. Der Schriftstellervereinigung PEN Berlin war es gelungen, die türkisch-kurdische Autorin aus der Türkei herauszuholen – zwei Tage, bevor ihr dort der Prozess gemacht werden sollte. Die türkische Regierung wirft Simsek die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ und „terroristische Propaganda“ vor. Ihre Kurzgeschichte „Arzela“ findet sich als vermeintlicher Beweis in der Anklageschrift. „Auch wenn hierzulande die öffentliche Aufmerksamkeit für die Türkei nachgelassen hat, gilt weiterhin: Das freie Wort ist im Erdogan-Regime nicht erwünscht, ganz besonders, wenn es um kurdische Autorinnen und Autoren oder um kurdische Themen geht“, sagt Ronya Othmann vom PEN Berlin.

Der Krieg in der Ukraine und die Proteste gegen das Mullah-Regime im Iran haben die Situation weiter verschärft. Die Ende März veröffentlichte „Case List“ von PEN dokumentiert 115 Fälle von Autor*innen, die weltweit Schikanen, Verhaftungen, Gewalt und sogar dem Tod ausgesetzt sind. Flucht und Zwangsausweisungen sind an der Tagesordnung. Das zeigt: Es müssen nicht immer Bücher verbrannt werden, um sie zu vernichten. Manchmal reicht es, dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst geschrieben werden.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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