Kultur

Kinodrama „La Cocina“: Wie Menschen in einer Großküche ausgebeutet werden

Ein Küchenjob als Eintrittskarte in ein besseres Leben? Die Tragikomödie „La Cocina“ erzählt von menschlichen Dramen unter Zuwander*innen in einem US-Restaurant. Auf engstem Raum entsteht das Bild einer zutiefst ungerechten Gesellschaft.

von Nils Michaelis · 17. Januar 2025
Rhooney Mara in "La Cocina"

Die alleinerziehende Kellnerin Julia (Rooney Mara) kämpft mit vielen Herausforderungen.

Wie fühlt sich New York an, wenn man illegal in die USA eingereist ist und zum ersten Mal durch die Hochhausschluchten der Metropole spaziert? Der Kinofilm „La Cocina“ (deutsch: „Die Küche“) gibt eine Ahnung davon. 

Keine Papiere, aber viele Hoffnungen

Estela (Anna Diaz) hat keine Papiere, aber große Hoffnungen. Zu Beginn des Films begleiten wir die Mexikanerin bei ihrer ersten Tour durch Manhattan. Ihr Ziel ist klar: das Restaurant „The Grill“ am Times Square. In dessen Küchencrew heuert sie an. 

Auch die meisten ihrer Kolleg*innen, die größtenteils nicht aus den USA stammen, besitzen keinen legalen Aufenthaltsstatus. In der Hoffnung, dass sich dies bald ändern möge, schuften sie in der Touristenfalle. Die gnadenlose Ausbeutung des Personals ist Teil des Businessplans.

Eine Restaurantküche als Mikrokosmos eines unerbittlichen, auf der Drangsalierung von Migrant*innen basierenden Profitstrebens: Estelas Arbeitsplatz macht skandalöse Strukturen, die nicht nur in den USA existieren, anschaulich, wenngleich die Perspektive der Ausgebeuteten dominiert. Der Film erzählt aber nicht nur von sozialen, sondern auch von zwischenmenschlichen Problemen. Und nicht nur Estela, sondern auch die Zuschauenden sind rasch mittendrin.

Im Zentrum der Handlung stehen Pedro (Raúl Briones) und Julia (Rooney Mara, bekannt aus „Verblendung“). Angesichts ihrer komplizierten Lage liegen Parallelen zu Shakespeares Figuren Romeo und Julia nicht nur in Julias Namen. Der mexikanische Koch (auch er ist ein „Illegaler“) und die US-amerikanische Kellnerin lieben sich und träumen von einer gemeinsamen Zukunft, wenngleich sie auf wackligen Füßen steht. Und nicht jeder und jede im Küchenteam sieht das gern. 

Auf Kurzbesuch im Küchen-Wahnsinn

Ohnehin betrachten viele Pedro nur als Einzelgänger und Unruhestifter. Als Julia, die bereits ein Kind als Alleinerziehende großzieht, merkt, dass sie schwanger ist, entscheidet sie sich für eine Abtreibung. Pedro ist dagegen, treibt aber trotzdem das Geld für den Eingriff auf.

Zur gleichen Zeit legt sich die Schlinge immer enger um den extrovertierten Koch. Aus der Kasse sind 800 Dollar verschwunden, das langt für einen Besuch in der Abtreibungspraxis. Pedro gerät in Verdacht, das Geld genommen zu haben. Nicht nur seitens des Managements wird er zunehmend angefeindet. Pedro sei nur mit Julia zusammen, weil er auf diesem Wege die ersehnte Green Card ergattern wolle, so die üble Nachrede. Alles steuert auf eine Katastrophe zu. 

„La Cocina“ deckt nur einen einzigen Tag des irren Geschehens im Restaurant ab, doch der hat es in sich. Es wird lautstark geflucht und herumkommandiert, mit Tellern geworfen und manchmal werden auch die Fäuste geschwungen. Es wird aber auch gelacht, Solidarität demonstriert und Nähe gespendet. Und nicht zuletzt: geliebt.

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Anders gesagt: Zwischen Grill, Herd und Kühlschrank wird ein schillerndes und mitunter anstrengendes menschliches Universum ausgebreitet, was den zweiten Teil des Filmtitels, nämlich „Der Geschmack des Lebens“, versinnbildlicht. Auch angesichts einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden bedeutet all dies eine wahre Tour de Force, wenngleich sie durch Mittel der Komik etwas aufgelockert wird.

Der überwiegend sehr temporeiche und mittlerweile vierte Spielfilm des mexikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Alonso Ruizpalacios wurde 2024 bei der Berlinale uraufgeführt und lief dort im Hauptwettbewerb. Es handelt sich um eine Adaption von Arnold Weskers Theaterstück „The Kitchen“ aus dem Jahr 1959. 

Ein Kammerspiel mit atmosphärischer Tiefe

Dass auch die Verfilmung in weiten Teilen einem Kammerspiel gleichkommt, dürfte also kaum verwundern. Vor allem die überwiegende Fokussierung auf den Wahnsinn in der Küche – auch angesichts der miesen Qualität der Speisen wäre „Fabrik“ treffender – macht die soghafte Wirkung der Verdichtung von Temperamenten und Lebenswegen möglich. Die atmosphärische Tiefe ist allerdings auch der Tatsache zu verdanken, dass „La Cocina“ in Schwarz-Weiß gedreht wurde. 

Gibt es in dieser düsteren und chaotischen Sphäre auch Raum für Hoffnung? Man kann den Film so verstehen, dass sie vor allem im unerschütterlichen Bestreben der Menschen, zu ihrem Recht zu kommen, zu finden ist. Pedro gibt hierfür ein eindrucksvolles Beispiel ab. 

Ruizpalacios (auch er startete seine Karriere als Tellerwäscher) ging es aber auch darum, jene „Unsichtbaren“ sichtbar zu machen, die einen von vielen Menschen aus Bequemlichkeit genutzten Betrieb am Laufen halten und auch unter schwierigsten Bedingungen an ihrem („amerikanischen“) Traum von einem besseren Leben festhalten.

„La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ (USA/Mexiko 2024), ein Film von Alonso Ruizpalacios, mit Raúl Briones, Rooney Mara, Anna Diaz, Laura Gomez u.a., 139 Minuten, FSK ab 16 Jahre.

Im Kino. Weitere Informationen zum Film unter square-o-n-e.com

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