Kultur

Kinodrama „Die Fotografin“: Wie Kate Winslet in Hitlers Badewanne landete

Ihre Bilder von der Befreiung Europas gingen um die Welt: Der Kinofilm „Die Fotografin“ zeichnet das Leben von Lee Miller nach. Kate Winslet verkörpert eine mutige Pionierin mit vielen Brüchen.

von Nils Michaelis · 20. September 2024
Kate Winslet in "Die Fotografin"

Für ein wirkungsvolles Foto geht sie sehr weit: Die Kriegsfotografin Lee Miller (Kate Winslet) posiert im Badezimmer von Adolf Hitler.

Auf den ersten Blick wirkt das Foto wie eine Alltagsszene. Eine entkleidete Frau sitzt in der Badewanne und wischt mit einem Lappen über ihre Schulter. Ihre Augen fixieren einen Punkt außerhalb des Bildrahmens. Ihre klobigen Stiefel und die Uniform vor der Wanne zeugen allerdings davon, dass dieses Motiv alles andere als alltäglich ist.

Tatsächlich zählt das Foto zu den bekanntesten des 20. Jahrhunderts. Es zeigt die Kriegsfotografin Lee Miller im Badezimmer Adolf Hitlers in dessen Münchner Privatwohnung. Die US-Amerikanerin dirigierte das Shooting und ließ sich von ihrem Kollegen David E. Sherman mit ihrer Kamera ablichten. Seit dem Sommer 1944 begleiteten beide die US-Truppen von Frankreich bis nach Deutschland. Während dieser Zeit entstanden viele Aufnahmen, die Eingang ins kollektive Gedächtnis fanden, etwa von der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. 

Mit „Die Fotografin“ widmet sich nun erstmalig ein Spielfilm dem Leben Lee Millers. Also einer Frau, die keine Kompromisse scheute, wenn es darum ging, ihre Ideale und Träume zu leben. In der von Männern dominierten Welt jener Zeit brachte das viele Konflikte mit sich, doch Miller setzte sich immer wieder durch. Nicht nur in ihrem Fach wurde sie zum Vorbild für andere Frauen.

Vom Model zur Fotografin 

Ende der 1920er-Jahre startete Miller (1907-1977) eine Model-Karriere und reiste mit Künstler*innen durch Europa. Später arbeitete sie als Fotografin für das Magazin „Vogue“. Bevor es sie auf den kriegszerstörten Kontinent verschlug, dokumentierte sie den Alltag in ihrer neuen Heimat Großbritannien im Zeichen des Luftkriegs. Bis Miller unter Lebensgefahr die Schlacht um Saint-Malo dokumentieren konnte, musste sie eine Reihe von Hindernissen überwinden: Denn Frauen wurden gemeinhin als untauglich für die Front erachtet.

Wie die deutsche Titelversion andeutet, liegt der Fokus des Films bis auf wenigen Ausnahmen auf jener Lebensphase, in der die Protagonistin ihre Berufung darin gefunden hat, den Schrecken und das Elend des Krieges festzuhalten. Miller tritt uns als Person mit vielerlei Gegensätzen und Brüchen gegenüber. 

Häufig begegnen wir ihr als rastlose Abenteuerin, die für dokumentarische Motive weder Anstrengungen noch Gefahren scheut. Als Künstlerin, die nicht vor inszenierten Aufnahmen zurückschreckt, um die gewollte Wirkung zu erzielen: Die Aufnahme in dem besagten Münchner Badezimmer soll dem Triumph der Alliierten über die verhassten Deutschen Ausdruck verleihen. Wir sehen Miller als von ihren Eindrücken überwältigte Chronistin, die sich in dem Moment, wenn die Kamera klickt, der Ambivalenz ihres Tuns bewusst wird, so etwa bei einem Zusammentreffen mit KZ-Überlebenden. 

Leidenschaft und Scheitern

Aber auch als eine leidenschaftlich Liebende, die dennoch ihr Eheglück während des Krieges hintanstellt. Und als (vorerst) Gescheiterte, als sich die britische Ausgabe der „Vogue“ kurz nach Kriegsende weigert, ihre Bilder vom Horror der Nazi-Lager zu veröffentlichen, weil sie den optimistischen Zeitgeist im Land der Sieger*innen trüben könnten. 

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All dies wird in Rückblenden erzählt, die auf einer Interviewsituation basieren. Immer wieder werden bekannte Fotografien Millers in die Handlung eingewoben. Somit beleuchtet der Film nicht nur die Genese ihrer Werke, sondern auch des fotografischen Gedächtnisses des Zweiten Weltkriegs.

Ob Dialoge, Szenenbild oder Kostüme: Der Film zeichnet ein stimmiges Bild der 1930er- und 1940er-Jahre und lässt die Hauptfigur trotz ihrer Unzeitgemäßheit als Person ihrer Zeit erscheinen. Daran hat auch Hauptdarstellerin Kate Winslet großen Anteil. Erneut brilliert sie darin, mit jeder Faser einen von vielerlei Leidenschaften getriebenen, aber auch mit dunklen Wesenszügen kämpfenden Charakter zum Leben zu erwecken. 

Betrunken in Paris

Besonders intensiv ist der Moment, als Winslet alias Miller betrunken durch das nächtliche Paris geistert. Was sie im Schlepptau der amerikanischen Armee zu sehen bekommt, hinterlässt Spuren. Und es zeigt sich, dass selbst die Kräfte dieser oftmals burschikos auftretenden Frau begrenzt sind.

Auch darüber hinaus hat Winslet entscheidend zum Gepräge des Ganzen beigetragen. Acht Jahre lang hat die britische Schauspielerin, die zum sechsköpfigen Produzent*innen-Team zählt, das Projekt vorangetrieben, gerade auch im inhaltlichen Sinne. Intensiv beschäftigte sie sich mit Millers Nachlass. Und auch ihr ist es zu verdanken, dass dieser Film, bis hin zur Regie, von einem weiblichen Blick auf jene Zeit im Allgemeinen und Millers Biografie im Speziellen lebt, also gewissermaßen von einer Umkehrung der gesellschaftlichen wie auch visuellen Verhältnisse.

Am stärksten ist „Die Fotografin“ immer dann, wenn eben diese Funktion und Mission im Mittelpunkt stehen und Winslet ebenso subtil wie überwältigend aus dem Vollen schöpft. Weniger überzeugend ist der übergeordnete Rahmen der Erzählung. Dass die besagte Interviewsituation einen Bogen zur belasteten Geschichte von Millers Familie nach 1945 schlägt, wirft mehr Fragen auf als solche zu beantworten. 

Fotos gegen das Schweigen

Das gilt auch für einen anderen Handlungsstrang. Mit ihren Fotos von Toten und Lebenden in den befreiten Lagern wollte Miller gegen das Schweigen ankämpfen. Die Herleitung ihres aufklärerischen Ethos aus traumatischen Kindheitserfahrungen bleibt allerdings oberflächlich. Hierfür müssen ein paar dürre Worte im Treppenhaus genügen.

Dennoch ist die „Die Fotografin“ ein erkenntnisreicher und über weite Strecken sehr berührender Film. Nicht nur, aber gerade wegen einer überragenden Winslet.

„Die Fotografin“ (Originaltitel: „Lee“, Großbritannien 2023‚), Regie: Ellen Kuras, Drehbuch: Liz Hannah, Marion Hume und John Collee, Kamera: Pawel Edelman, mit Kate Winslet, Andy Samberg, Alexander Skarsgård, Marion Cotillard u.a., 116 Minuten, FSK ab 12 Jahre

Im Kino

www.studiocanal.de

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