Kultur

Filmtipp „Die Unbeugsamen“: Als die Bonner Republik weiblich wurde

Bloß kein Beiwerk mehr sein: Der engagierte Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ erzählt die Geschichte von Frauen, die sich Macht und Einfluss in der Spitzenpolitik gegen verbohrte Männer erkämpften.
von ohne Autor · 27. August 2021
Sie wollten vieles anders und besser machen: Christa Nickels (Grüne) und Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) (v.l.) erinnern sich.
Sie wollten vieles anders und besser machen: Christa Nickels (Grüne) und Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) (v.l.) erinnern sich.

Dass das Thema des Films höchst aktuell ist, wurde einem kürzlich auf drastische Weise bewusst. Wieder einmal. „Es kann nicht sein, dass unsere Demokratie von älteren Männern bestimmt wird und Frauen, die sich engagieren, derartiges ertragen müssen. Da läuft gewaltig etwas falsch."  Dieser Satz fiel nicht etwa in den 70er-Jahren, sondern in dieser Woche. Er stammt von der SPD-Bundestagsabgeordneten Bela Bach. Sie berichtete über sexuelle Belästigung und Übergriffigkeit im Parlament. Die 30-Jährige wollte „auf ein System aufmerksam machen, in dem Macht missbraucht wird".

Es bleibt viel zu tun

Auf dem Weg zur Gleichberechtigung im Politikbetrieb bleibt viel zu tun. Das zeigt der historisch niedrige Frauenanteil im Bundestag, der vor allem FDP und AfD angelastet wird. Und doch hat sich einiges getan. Nicht zuletzt, weil sich seit den 60er-Jahren immer mehr Frauen aufgemacht haben, die einstige Männerbastion zu erobern. Viele von ihnen traten mit dem Anspruch an, Macht anders und „menschlicher“ auszuüben.

Zwölf von ihnen (und dazu zwei Journalistinnen) kommen in „Die Unbeugsamen“ zu Wort. Darunter sind die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD), die Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier (SPD, vormals FDP) sowie Christa Nickels, ehedem Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, sowie die ehemaligen Bundestagsabgeordnetinnen Ursula Männle von der CSU und Helga Schuchardt von der FDP.

Persönliche Dramen

Was trieb diese Frauen an, mehr als nur schmückendes Beiwerk sein zu wollen und sich politischen Einfluss zu erkämpfen? Wie setzten sie sich durch? Welche politische und persönliche Bilanz ziehen sie, gerade auch im Hinblick auf den Einsatz für die Emanzipation? In ausgiebigen Interviewsequenzen bieten die Polit-Veteraninnen Einblicke in die Mühen des politischen Alltags, aber auch in persönliche und private Erlebnisse.

Immer wieder kommen verstörende Zwischenfälle zur Sprache. Helga Schuchardt erzählt, wie Bundestagspräsident Richard Stücklen ihr auf dem Weg vom Rednerpult zu ihrem Platz mit dem Daumen über die Wirbelsäule fuhr. Der CSU-Politiker wollte ertasten, ob sie einen BH trägt. Mit seinen Fraktionskollegen hatte er eine Wette abgeschlossen. Stücklen fand das lustig. Der Vorfall ging an die Presse, seiner Karriere hat es nicht geschadet. Helga Schuchardt versicherte ihm später, die Sache nicht durchgesteckt zu haben: eines von vielen Beispiel dafür, dass sich die Interviewpartnerinnen oft widersprüchlich verhalten haben.

Von Adenauer bis zur ersten Kanzlerin

Außerdem wird deutlich, dass die befragten Frauen auf dem Weg zur Macht ziemlich konträren Modellen folgten. Renate Schmidt erklärt, warum sie als Frau nicht „ohnmächtig“ sein wollte und wie sie mit einem konkreten Gestaltungswillen, der eine pragmatische Grundhaltung einschloss, in die Politik ging. Vergleichsweise radikale Wege wie die zeitweise rein weibliche Führung der Grünen-Fraktion im Bundestag, das sogenannte „Feminat“, sieht sie auch heute kritisch.

In zwölf Kapiteln, von den späten 50er-Jahren bis zur Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin im Jahr 2005, verfolgt Regisseur und Drehbuchautor Torsten Körner den Weg seiner Protagonistinnen und weiterer Pionierinnen. Einen Off-Kommentar gibt es nicht: Eine Art roter Faden ergibt sich daraus, dass sich Gesprächsausschnitte und Archivmaterial, etwa zu bedeutenden Debatten im Bundestagsplenum, häufig aufeinander beziehen. Dabei kommt manch ein weithin unbekanntes Ereignis zutage.

Sprache als Feld des Kampfes

Es brauchte einen Sitzstreik von CDU-Frauen vor dem Kabinettssaal, um Kanzler Konrad Adenauer 1961 dazu zu bewegen, Elisabeth Schwarzhaupt als erste Ministerin ins Bundeskabinett aufzunehmen. Trotzdem begrüßte er die Regierungsmitglieder weiterhin mit „Guten Morgen, meine Herren“.

Sprache als Feld der Auseinandersetzung: Das galt erst recht, als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einzogen. Unter dem höhnischen Gelächter vieler CDU-Männer prangerte die Grünen-Abgeordnete Waltraud Schoppe den alltäglichen Sexismus im Parlament an.

Atmosphärisch starke Inszenierung

Der Kampf hält an und muss anhalten: Dieser Befund taucht während der Interviews immer wieder auf. Der überdeutliche Bezug zur Gegenwart wird durch den musealen Charakter der Schauplätze kontrastiert. Das Abgeordnetenhochaus „Langer Eugen“, der alte Bundesratssaal, das Rheinhotel Dreesen, die Villa Hammerschmidt sind Symbolorte der Bonner Republik und repräsentieren vergangene Zeiten, auch in Bezug auf die Stellung der Frau in der politischen Öffentlichkeit.

Torsten Körner versteht seinen Film auch als einen Rückblick auf eine Zeit, als Männer in grauen Anzügen die Szenerie bestimmten. Und zwar ganz bewusst aus der bislang unterbelichteten weiblichen Perspektive. Sein Anliegen unterstreicht der 55-Jährige mit einer atmosphärisch starken Inszenierung, deren Wucht mitunter übers Ziel hinausschießt. Umso stärker sind die Momente, wenn die Zeitzeuginnen im Mittelpunkt stehen.

Info: „Die Unbeugsamen“ (Deutschland 2020), ein Film von Thorsten Körner, mit Renate Schmidt, Christa Nickels, Ingrid Matthäus-Maier, Helga Schuchardt, Rita Süßmuth u.a., 99 Minuten; www.dieunbeugsamen-film.de

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