Kultur

Film „Elaha“: Wie eine Frau um ihren Körper kämpft

Eine junge Frau reibt sich auf zwischen Tradition und Selbstbestimmung: „Elaha“ ist eine berührende Studie über den Aufbruch einer Zerrissenen. Dieser hat vor allem mit der Kontrolle über ihren Körper zu tun.
von Nils Michaelis · 24. November 2023
Elaha (Bayan Layla) mit ihrem Verlobten Nasim (Armin Wahedi)
Elaha (Bayan Layla) mit ihrem Verlobten Nasim (Armin Wahedi)

Zwei Sätze und eine Frage genügen, um die Widersprüche in Elahas Leben zu beschreiben. „Ich gebe dir alle Freiheiten“, sagt der Verlobte zu ihr. „Ich will nur, dass du auf mich hörst.“ Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Hochzeit. Immer größer wird der Druck seitens der kurdischen Community auf die 22-Jährige, die Erwartungen an sie als künftige Ehefrau und Mutter zu erfüllen. Mit jedem Tag wachsen ihre Zweifel an dem, worauf sie sich eingelassen hat.

Ganz anders klingen die Worte der Leiterin ihres Berufsbildungskurses: „Bist du die Frau, die du sein willst?“ Mit dieser Frage nehmen Dinge ihren Lauf, die weder das Kinopublikum noch Elaha vorausahnen können.

„Elaha“ erzählt vom mühsamen Weg einer jungen Frau auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Damit ist nicht zuletzt die Kontrolle über ihren Körper gemeint. Die Wurzeln ihrer Familie liegen im irakischen Kurdengebiet. Mit ihren Eltern und zwei Geschwistern lebt Elaha in einer Stadt in Süddeutschland. Ihr migrantisches Milieu ist auf den ersten Blick weder besonders konservativ oder gar religiös. Dennoch bestimmen klare Rollenbilder das Zusammenleben. Zu diesem Kodex gehört ein entwürdigendes Ritual, das jede Frau kurz vor der Trauung über sich ergehen lassen muss.

Zerrissenes Leben

Das Wissen darum treibt Elahas ohnehin evidente Zerrissenheit auf die Spitze. Sie versucht, ihre Wünsche zu verwirklichen und zugleich den Erwartungen anderer gerecht zu werden. Um eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen, absolviert sie ein berufsvorbereitendes Training und jobbt in einer Wäscherei. Bei den Treffen mit ihren ebenfalls kurdischstämmigen Freundinnen spürt sie die Solidarität lebenslustiger junger Frauen.

Auf der anderen Seite ist sie bemüht, den Erwartungen ihres künftigen Gatten zu entsprechen, der vor allem auf ihre Qualitäten als Hausfrau und Mutter zu setzen scheint. Und ihre Mutter ist nach Kräften bemüht, sie darauf vorzubereiten.

So viele Widersprüche sind auf Dauer schwer auszuhalten. Hinzu kommt, dass Elaha ihre Familie – allen Konflikten zum Trotz – bedingungslos liebt und sich in den kurdischen Traditionen zu Hause fühlt, selbst wenn sie einige wenige Regeln ablehnt. Wird sie es schaffen, den Bräuchen zu folgen, ohne sich selbst zu verleugnen? Alles läuft auf eine schwierige Entscheidung hinaus.

Bei dem Film der als jesidische Kurdin in Armenien aufgewachsenen Regisseurin Milena Aboyan handelt es sich um keine klassische Sozialstudie, sondern um das Porträt einer verunsicherten, aber entschlossenen Frau. Elaha sucht eine Richtung für ihr Leben. Die Erzählung folgt allein ihrer Perspektive. Also ihrem von Sehnsüchten und Träumen, aber auch von Wut und Verzweiflung erfüllten Weg, dessen Ziel ein Stück weit unergründlich bleibt. Dank der subtilen Bildsprache werden sowohl die Vielschichtigkeit als auch die Enge ihres Alltags erfahrbar.

Kritik am Patriarchat

Elahas Community bestimmt den Rahmen, ohne zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Die Absicht dahinter ist klar: Hier geht es nicht um Vorgänge in einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe. Das Anliegen ist viel umfassender: „Elaha“ kritisiert das Patriarchat an sich. Auch indem deutlich wird, wie überkommene Gewohnheiten nicht nur einem Geschlecht zusetzen. Dadurch werden Klischees vermieden.

„Elaha“ ist Milena Aboyans Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. Er feierte seine Premiere auf der Berlinale und wurde auf dem Filmfestival Locarno ausgezeichnet. Manche Dialoge sind etwas hölzern geraten und einige Figuren bleiben blass. Spätestens ab der zweiten Hälfte entfaltet diese Geschichte aber einen intensiven Sog, ohne sich von dem gemächlichen Erzählfluss zu verabschieden.

Diese packende Wirkung ist nicht zuletzt Hauptdarstellerin Bayan Layla zu verdanken. Sie bekommt viel Zeit, um ebenso drastisch wie behutsam Elahas (scheinbar) miteinander im Widerstreit liegenden Antriebe und auch Triebe zum Vorschein zu bringen. Nicht nur die von großer Intimität durchzogenen Szenen lassen erahnen, wie intensiv sich die von Syrien nach Deutschland gekommene Schauspielerin auf diese Rolle vorbereitet hat.

Sex und Befreiung

Auch deswegen hält einen diese Studie über eine Suchende bis zum Schluss bei der Stange. Und die Erkenntnis, dass Sex nicht nur im psychologischen Sinne etwas Befreiendes innewohnen kann, erscheint so in einem ganz eigenen und berührenden Licht.

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