Ausstellung: So zeigen drei Fotografinnen den Krieg in der Ukraine
Wie viele Fotos sie insgesamt schon gemacht haben in der Ukraine, wissen sie nicht genau. „Bestimmt mehrere tausend“, schätzt Helena Lea Manhartsberger. Laila Sieber nickt zustimmend. Die beiden Fotografinnen waren im März, kurz nach Ausbruch des Krieges, erstmals in der Ukraine. Eine Auswahl ihrer Bilder – zusammen mit den Geschichten der gezeigten Personen – ist nun im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen. „Fragmente des Krieges – Bilder aus der Ukraine“ zeigt einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem Krieg, der den Alltag der Menschen nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt bestimmt. Neben Werken von Sieber und Manhartsberger sind auch Bilder von Johanna-Maria Fritz ausgestellt, die die ersten Kriegstage in Kiew dokumentierte.
Wenn auf Bildern der Krieg zum Alltag wird
Die drei Fotografinnen eint eine Gemeinsamkeit: Bereits wenige Tage, nachdem die ersten Raketen in Kiew und an vielen anderen Orten in der Ukraine einschlugen, Menschen vor den russischen Bomben und Granaten aus dem Land flohen, machten sie sich auf den umgekehrten Weg. Sie wollten zeigen, was in der Ukraine passiert. Während die Auswahl von Fritz' Fotos in der Ausstellung vor allem die Zerstörung und die Verzweiflung in und um die Hauptstadt zeigen, sind auf den Aufnahmen von Sieber und Manhartsberger Menschen auf der Flucht oder auf dem Weg an die Front zu sehen. Sie erzählen aber auch die Geschichten hinter den Gesichtern – zum Beispiel von Wanja, der Journalismus studierte und die erste Nacht des Kriegs in Kiew zunächst gar nicht mitbekam, dann aber zu seiner Freundin flüchtete. Viele der Menschen, die die beiden Fotografinnen porträtieren, sind junge Erwachsene oder sogar noch Minderjährige, die oft überstürzt fliehen mussten und Schutz suchten.
Es ist das erste Mal, dass die befreundeten Fotografinnen Manhartsberger und Sieber zusammengearbeitet haben, erzählen sie im Gespräch mit dem „vorwärts“. „Wir hatten schon vor dem Krieg die Idee, in die Region zu reisen, dort zu arbeiten“, sagt Sieber. Der Beginn des Krieges ließ sie zwar zunächst zweifeln, ob sie ausgerechnet jetzt auch dorthin reisen sollten – neben all den anderen Fotograf*innen, die bereits unterwegs waren.
Fokus auf LGBTQI*-Szene in der Ukraine
Doch sie hielten an dem Plan fest und waren dann schon wenige Tage nach Kriegsbeginn vor allem in die Westukraine unterwegs, porträtierten Menschen aus der LGBTQI*-Szene, übernachteten mit ihnen in den Geflüchtetenunterkünften. „Wir haben schon vorher in diese Richtung recherchiert“, sagt Manhartsberger. Beide hatten bereits Kontakte zu Organisationen aufgebaut, schließlich zu den Menschen vor Ort. Kontakte, die sie bis heute aufrecht erhalten. Sie verfolgen die Schicksale der Menschen, die sie fotografiert haben, weiter. Im Juni waren sie schon ein zweites Mal in der Ukraine, erst kurz vor Ausstellungsbeginn kamen sie zurück nach Deutschland. „Es ist gut, wenn man gemeinsam unterwegs ist, sich austauschen kann“, sagen beide über die Erfahrung, „und dasselbe Risikobewusstsein teilt“.
Johanna-Maria Fritz ist bei der Eröffnung nicht zugegen – sie lässt sich mit Blick auf die Strapazen der Rückreise entschuldigen, wie Kuratorin Mirja Linnekugel erklärt. Fritz war schon zu Kriegsbeginn nah an der Front. Die Fotografin war auch schon zuvor in der Konfliktregion unterwegs, hatte aus den Seperatistengebieten berichtet. Und sie gehörte auch zu den ersten, die in Butscha fotografierten, dem Vorort der Hauptstadt, der nun so untrennbar mit dem Tod und dem Schrecken, den Gräueltaten der russischen Armee verknüpft ist.
Auch Fritz richtet ihren Blick zwischen all den Szenen des Kriegs auf die Menschen: Da ist zum Beispiel der 39-jährige Lawrentiw aus Irpin, den sie mit dem Gewehr des Vaters fotografiert. Ein zweites Bild zeigt mehrere Kugeln. Die hat der Mann aufgehoben für den Fall, dass die russischen Truppen sein Heimatdorf erobern wollen. Zu der Zeit, als Fritz ihn besucht, ist er aber vor allem damit beschäftigt, Menschen zu evakuieren.
Winzige Ausschnitte des Kriegs sind es, wie Mirja Linnekugel die Ausstellung beschreibt. „Es ist wirklich schwer sich dem zu stellen“, gibt sie unumwunden zu. „Aber wir zeigen das, gerade weil es so schwer ist“, erklärt sie die Absicht hinter der Ausstellung, die so kurzfristig in den Veranstaltungskalender des Freundeskreises des Willy-Brandt-Haus gerutscht ist.
Parallelausstellung „Home Again“ zu Migration und Flucht
Eigentlich hatte der Freundeskreis zunächst nur die Ausstellung „Home again“ geplant, die nun zeitgleich in der SPD-Parteizentrale zu sehen ist. Sie stellt Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung weltweit in den Mittelpunkt. Wie sie aus ihrer Heimat geflohen sind, aber auch, wie sie versuchen, in einer neuen anzukommen. Neue Perspektiven, neue Hoffnung entwickeln. Auch in dieser Ausstellung finden sich Szenen der Flucht aus der Ukraine wieder und spannen so den Bogen zu „Fragmente des Krieges“.
„Wir können uns diesem Krieg nicht entziehen“, sagt Tamina Kutscher, Chefredakteurin der Nachrichtenplattform „Dekoder“, „und wir dürfen es auch nicht“.
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