Kultur

Ausstellung in Bonn: Wie Demokratie im Fitness-Studio trainiert werden kann

75 Jahre Bundestag, ein ebenso altes Grundgesetz und ein weltweites Superwahljahr. Es gibt viele Gründe für die Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“ in der Bundeskunsthalle in Bonn. Sie gewährt ab Donnerstag einen Blick auf die Geschichte der Demokratie und lädt zum Mitmachen ein.

von Jonas Jordan · 29. Mai 2024
Ab dem 30. Mai ist die Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“ in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen.

Ab dem 30. Mai ist die Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“ in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen.

Am Anfang war das Los. Als die Griechen in der Antike die Demokratie erfanden, war es keine Wahl-, sondern eine Losdemokratie. Unter 6.000 Bürgern wurden in Athen 500 ausgelost. Heute leben weltweit Milliarden von Menschen in Demokratien. Alleine in diesem Jahr sind mehr als vier Milliarden Menschen aufgerufen, ihr Kreuz zu machen. Bei Wahlen in Indien, den USA, dem Vereinigten Königreich, Südafrika oder ab dem 6. Juni in der gesamten Europäischen Union.

Eine „dichte Packung in zwei Parcours“

Grund genug für die Bundeskunsthalle in Bonn ab 30. Mai in einer Ausstellung unter dem Titel „Für alle! Demokratie neu gestalten“ unterschiedliche Aspekte der Demokratie zu beleuchten. „Was für ein Riesen-Thema! Wir versuchen einen großen Bogen zu spannen“, sagt Intendantin Eva Kraus bei einer Medienkonferenz am Vortag der Eröffnung und verspricht eine „dichte Packung in zwei Parcours“, die den Besucher*innen auch Spaß machen sollen.

Der äußere Parcours bietet ein Studium der Politikwissenschaft im Schnelldurchlauf, beleuchtet die parlamentarische Geschichte in Deutschland von der Paulskirchenversammlung 1848 über die Weimarer Republik mit der Einführung des Frauenwahlrechts bis hin zur Bonner Republik. Wie passend, dass sich die Verabschiedung des Grundgesetzes im nur einen Kilometer entfernten Museum König vor wenigen Tagen zum 75. Mal gejährt hat.

Erinnerung an den Runden Tisch

Doch auch die ostdeutsche Perspektive auf die Demokratie bleibt nicht unerwähnt. Wer die Ausstellungsräume betritt, wundert sich zunächst einmal über einen überdimensionierten Haufen gestapelter Stühle. Doch keine Angst, es ist nicht der Abstellraum, sondern ein Kunstwerk mit dem Titel „Sturzlage“. Die Stühle wiederum stammen vom Runden Tisch, der in der Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung 1989/90 über einen Verfassungsentwurf für die DDR beriet. Die Schriftstellerin Christa Wolf verfasste die Präambel, die ebenfalls ausgestellt ist. Doch kam der Entwurf aufgrund des schnellen Beitritts zur Bundesrepublik nie zum Einsatz.

Stühle vom Runden Tisch

Das Kunstwerk mit dem Titel „Sturzlage“ erinnert an den Runden Tisch in der DDR 1989/90.

Das Kunstwerk „Sturzlage“ zeigt Stühle vom Runden Tisch aus dem Wendejahr 1989/90.

Der gewünschte Ausgleich zwischen Ost und West zeigt sich auch in der Zusammenarbeit mit dem Kunstgewerbemuseum in Dresden. Begleitend zur Ausstellung haben beide Museen bereits im November 2023 Bürger*innenräte einberufen, die sogenannten Gesellschaftsforen. Die Macherinnen der Bundeskunsthalle sprechen von einer „direkten Linie von der griechischen Losdemokratie zur Gegenwart“. Denn die teilnehmenden Bürger*innen in Bonn und Dresden wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Anschließend entwickelten sie eine Liste von Empfehlungen, wie die beiden Museen offener, einladender und integrativer werden können.

Eine weltweite Wahl?

Die Gesellschaftsforen folgen der Idee anderer partizipativer Modelle wie dem Bürgerrat, der kürzlich den Bundestag beriet und Empfehlungen in Fragen der Ernährung in Deutschland abgab. Diese und weitere Ideen zur Zukunft der Demokratie werden in einem weiteren Teil der Ausstellung beleuchtet. Dazu zählt auch ein fiktiver Stimmzettel für eine weltweite Wahl am 22. September 2047. Für die SPD tritt dort Elias Schulze, ein Sozialarbeiter aus Marburg, im fiktiven Wahlkreis 2 Deutschland-West für das Direktmandat für ein Weltparlament an.

Eine Wahl für die ganze Welt statt viele Wahlen überall auf der Welt? Eine schöne Utopie, die jedoch schwierig zu erfüllen sein wird, zeigt sich doch aktuell, dass die Demokratie in vielen Ländern unter Druck steht. Autokrat*innen und Rechtspopulist*innen gewinnen wieder mehr an Einfluss. Umso wichtiger also, den „demokratischen Muskel“ zu trainieren. Das können die Besucher*innen im Fitness-Studio Demokratie, dem Herzstück der Ausstellung.

Demokratie in der Mittagspause

Das funktioniert am besten im Zusammenspiel mit anderen, wie in der echten Demokratie also. Zu zweit auf einer Wippe die eigene Position ausbalancieren, am „Table of Tables“ bei einer Runde Tischtennis Widersprüche aushalten oder durch Pumpen Ausdauer trainieren und einen langen Atem beweisen, um die Göttin der Demokratie am Leben zu erhalten. Sie erinnert an eine Statue, die Student*innen 1989 auf dem Tian’anmen-Platz in Peking errichteten. Die blutige Niederschlagung dieser Demokratiebewegung jährt sich in Kürze zum 35. Mal.

Auch die Jüngsten können durch die Ausstellung schon mal in Kontakt mit der Demokratie kommen. Die Bundeskunsthalle bietet Kindergeburtstage für 6- bis 12-Jährige an. Und – weil fehlende Zeit ja häufig eine Ausrede für mangelnde demokratische Beteiligung ist – auch Speed-Führungen von einer halben Stunde in der Mittagspause sind im Programm.

Zur Ausstellung: 

Die Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“ ist vom 30. Mai bis zum 13. Oktober in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen. Geöffnet ist sie dienstags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs von 10 bis 21 Uhr, donnerstags bis sonntags sowie feiertags von 10-19 Uhr. Der Eintritt beträgt regulär 13 Euro, ermäßigt 6,50 Euro. Für alle bis einschließlich 18 Jahre ist der Eintritt frei.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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