International

Zehn Jahre Krieg in Syrien: Kaum Hoffnung auf Besserung

Die Proteste gegen Syriens Machthaber Bashar al Assad begannen am 15. März 2011 friedlich. Doch das Regime schlug vom ersten Tag an hart zurück. Zehn Jahre später liegt Syrien in Trümmern – und Assad ist eine Marionette Russlands und des Iran.
von Jörg Armbruster · 14. März 2021
Grafito in Idlib zur Erinnerung an den 15. März 2011: Vor zehn Jahren begannen die Proteste gegen Syriens Machthaber Bashar al Assad.
Grafito in Idlib zur Erinnerung an den 15. März 2011: Vor zehn Jahren begannen die Proteste gegen Syriens Machthaber Bashar al Assad.

„Syrien ist zwar von den ersten Zeitungsseiten verschwunden, die Situation in dem Land bleibt aber ein lebender Albtraum.“ Mit diesen drastischen Worten beschrieb am 10. März dieses Jahres der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, die Lage in dem zerstörten Land. Zehn Jahre nach Beginn des innersyrischen Krieges. Es sei nahezu unmöglich, sich die nahezu vollständige Verwüstung des Landes vorzustellen, so der Generalsekretär in der Pressekonferenz weiter, „die Menschen mussten die schlimmsten Verbrechen erleiden, die die Welt in diesem Jahrhundert gesehen hat.“

Zu diesen Verbrechen, für die in erster Linie Dauerdespot Bashar al Assad verantwortlich gemacht werden muss, gehören der Einsatz chemischer Waffen gegen die eigene Bevölkerung, von international geächteter Fassbomben gegen Zivilist*innen, Belagerungen und Aushungern von Städten und Dörfern, gezielte Verwüstung von Krankenhäusern, Schulen und Wasser- und Elektrizitätswerken. Einziges Ziel dieser Zerstörungsorgien der Assad-Truppen und ihrer Helfer: Der von Rebellentruppen kontrollierte Teil des Landes sollte unbewohnbar gebombt, die Menschen vertrieben werden. Eine Vernichtungsstrategie, die nach 10 Jahren tatsächlich aufgegangen zu sein scheint dank der militärischen Hilfe Russlands und des Iran, den  engsten Verbündeten Assads, ohne die es ihn in Damaskus nicht mehr gäbe.

Ein Clan, der Syrien wie einen Mafia-Staat regiert

Dabei hatten die Proteste gegen ihn am 15. März 2011 friedlich begonnen. Als Rebellion gegen Korruption, gegen den Nepotismus des Assad-Clans, gegen die schon seit mehr als 40 Jahre dauernde Alleinherrschaft dieser Familie, die das Land wie einen Mafia-Staat regiert. Ermutigt durch die Erfolge der Ägypter und Tunesien, wollten die meist jungen Syrer*innen ihren eigenen Frühling, einen syrischen. Anfangs hielten sie sich zurück und protestierten friedlich und zurückhaltend. Ursprünglich hatte sie noch nicht einmal einen Rücktritt des Präsidenten gefordert; Reformen und mehr Mitsprache verlangten sie. Mehr nicht.

Dennoch schlug das Regime vom ersten Tag an zurück. Mit voller Härte. Statt zuzuhören, ließ Assad seine Soldat*innen auf die unbewaffneten Demonstrant*innen schießen und entfesselte damit eine auch heute noch andauernde Gewaltspirale, die das Land nach und nach zerstört. Eine halbe Million Syrer*innen sind bislang ums Leben gekommen. Heute zählt das Land zu den ärmsten der arabischen Welt. Rund 60 Prozent aller Syrer*innen leben unter der Armutsgrenze, müssen also mit weniger als 1,60 Euro pro Tag auskommen. Die UNO warnt vor einer drohenden Hungerkatastrophe.

Mehr als elf Millionen Syer*innen sind auf der Flucht

Obwohl die Kämpfe seit dem fragilen Waffenstillstand von März 2020 abgeflaut sind, gibt es kaum Hoffnung, dass sich die Lage der Menschen in absehbarer Zeit verbessert. Mehr als die Hälfte der 22 Millionen Syrer*innen sind auf der Flucht, entweder im eigenen Land oder außerhalb bei Nachbarn  wie dem Libanon, Jordanien, der Türkei oder den Staaten der EU. Mehr als 900.000 vegetieren in Flüchtlingslagern entlang der mit Wachtürmen und Stacheldraht verbarrikadierten Grenze zur Türkei. Ihre Zelte stehen im Regenwasser, Kinder spielen im Schlamm, ohne jeden Schutz vor der Kälte, ärztlichen Versorgung kommt, wenn überhaupt, von einigen wenigen mutigen Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“.

In der letzten von Rebell*innen kontrollierten Provinz Idlib im Nordwesten des Landes arbeiten gerademal noch vier Krankenhäuser, die vier Millionen Menschen versorgen sollen. Kampfflugzeuge der syrischen oder russischen Luftwaffe hatten sie 2019 gezielt angegriffen, um die Infrastruktur dieser letzten Rebellenhochburg zu zerstören. Nach Ansicht der UNO sind das eindeutig Kriegsverbrechen. Ob die Täter*innen allerdings jemals vor Gericht gestellt werden, ist eher unwahrscheinlich.

Auf eine entsprechende Frage einer Reporterin während der Pressekonferenz am 10. März in New York antwortete der UNO-Generalsekretär, er hoffe es, aber die Schwierigkeiten und Hindernisse seien ja bekannt. Russland hatte er als ein solches Hindernis zwar nicht ausdrücklich beim Namen genannt,  diese UN-Vetomacht hatte in der Vergangenheit aber immer wieder Assad mit ihrem Einspruch im Sicherheitsrat vor Verurteilungen geschützt.

Eine andere Opposition als vor zehn Jahren

Hat also der syrische Präsident sein Ziel erreicht und die Herrschaft über sein Land zurückerobert? Besiegt hat er zweifellos die heute in erster Linie aus Djihadistengruppen bestehende Opposition, die 2021 also so gut wie nichts mehr zu tun hatte mit der säkularen Demonstranten von 2011. Mit zu dieser Radikalisierung der Assad-Opposition haben vor allem die Golfstaaten beigetragen, die die Aufstände gegen den Diktator zu einem Stellvertreterkrieg gegen den Iran umfunktioniert haben. Im Norden hat die Türkei nach wie vor syrisches Gebiet besetzt, die Kurden, die mit amerikanischer Unterstützung den sogenannten Islamischen Staat vertrieben haben, verteidigen ihr Siedlungsgebiet im Nordosten und verlangen Autonomie. Tatsächlich kontrolliert Assad heute rund zwei Drittel seines ehemaligen Herrschaftsgebiets.

Aber was heißt schon kontrolliert?  Geheimdienst und Armee sichern zwar seine Herrschaft – von 200.000 politischen Gefangenen ist die Rede, von Folter und Mord in den Gefängnissen – doch gegen die Interessen seiner engsten Verbündeten, Russland und dem Iran, kann er keine politische Entscheidung treffen. Und daran wird sich nichts ändern, denn beide werden sich auf Dauer in Syrien einrichten. Putins Luftwaffenstützpunkt bei Latakia ist sein einziger im Nahen Osten, der für Kriegsschiffe taugliche Hafen in Tartus sein einziger Marinestützpunkt am Mittelmeer. Beide wird er nicht aufgeben.

Und der Iran verfügt mit seiner militärischen Präsenz in Syrien über eine politische wie militärische Achse, die von Teheran über Bagdad und Damaskus bis ans Mittelmeer reicht. Eine solche Machtausdehnung war den Persern das letzte Mal vor rund 2500 Jahren gelungen. Viel mehr als eine Marionette dieser beiden Siegermächte wird daher der syrische Präsident in Zukunft kaum sein.

node:vw-infobox

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare