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Warum wir über die Atomwaffen der USA in Deutschland diskutieren sollten

Die SPD debattiert über US-Atomwaffen auf deutschem Boden. Eine mitunter sehr emotionale und symbolische Diskussion, sagt der Politikwissenschaftler Peter Rudolf. Im vorwärts-Interview plädiert er für eine Versachlichung der aus seiner Sicht notwendigen Debatte.
von Lars Haferkamp · 11. Mai 2020
Tornado-Flugzeug der Bundesluftwaffe
Tornado-Flugzeug der Bundesluftwaffe

Herr Rudolf, in der SPD gibt es eine Debatte über die Beteiligung Deutschlands an der nuklearen Abschreckung der NATO. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, Bundesaußenminister Heiko Maas lehnt einen solchen Alleingang in der NATO ab. Wie ist Ihre Position?

Zunächst: Wir brauchen eine neue Diskussion über die nukleare Abschreckung und ihre Risiken, die Rolle der Nuklearwaffen in der NATO und die Wiederbelebung nuklearer Abrüstung. Als Politikwissenschaftler geht es mir darum, sachlich fundierte Orientierung für eine notwendige Diskussion zu geben, die sehr emotional und symbolisch aufgeladen ist und bei der Glaubensbekenntnisse aufeinanderprallen. Ein Abzug der amerikanischen Atombomben aus Deutschland würde wohl weder den Frieden in Europa sicherer machen, noch das Ende der NATO und die Isolation Deutschlands bedeuten.

Erhöhen oder gefährden amerikanische Atomwaffen in Deutschland unsere Sicherheit?

Die in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern stationierten amerikanischen Atomwaffen haben heute in erster Linie eine politisch-symbolische Bedeutung, als eine Art Verkörperung der amerikanischen Schutzgarantie. Militärisch-strategisch ist ihre Bedeutung gering. In den Krisen- und Kriegsszenarien, die in den USA durchgespielt werden, spielen sie keine nennenswerte Rolle.

Welche Folgen hätte es für die NATO und die deutsch-amerikanischen Beziehungen, würde Berlin den Abzug amerikanischer Nuklearwaffen aus Deutschland durchsetzen?

Militärisch haben die Nuklearwaffen in Deutschland für die USA keine Bedeutung. Die nukleare Teilhabe war im Kalten Krieg ein Zugeständnis an Deutschland, das als Frontstaat ohne eigene Nuklearwaffen und mit nie verstummenden Zweifeln an der amerikanischen nuklearen Schutzzusage ein starkes Interesse hatte, Einfluss auf den möglichen Einsatz von Atomwaffen zu nehmen.

Funktioniert die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands nur, wenn US-Atomwaffen bei uns stationiert sind und diese von deutschen Flugzeugen eingesetzt werden können?

Die politische Mitwirkung , das heißt die Teilnahme an den Beratungen und Diskussionen der Nuklearen Planungsgruppe der Nato, hängt nicht von der „technischen“ Teilhabe ab, das heißt der Fähigkeit, mit eigenen Flugzeugen amerikanische Atombomben einzusetzen.

Die nukleare Abschreckung scheint seit fast 75 Jahren zu funktionieren. Kein Staat der Welt hat – nach dem Atombombeneinsatz der USA in Japan – je wieder Nuklearwaffen eingesetzt. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die nukleare Abschreckung auch weiterhin funktioniert?

Ob die nukleare Abschreckung funktioniert oder nicht wissen wir nicht. Was wir wissen ist: Im Kalten Krieg wirkte die wechselseitige Verwundbarkeit in Krisen mäßigend auf die Staatsführungen in Washington und Moskau. Doch rückblickend muss man auch von Glück sprechen, dass es zwischen Ost und West nicht aufgrund von Fehlkalkulationen und Irrtümern zu einem Einsatz von Atomwaffen kam. Und im übrigen: Nuklearwaffenstaaten haben auch gegen Nicht-Nuklearwaffenstaaten keine Atomwaffen eingesetzt. Es gibt offenbar eine Hemmschwelle, solche Waffen einzusetzen.

Die USA verfolgen die Strategie der „erweiterten“ nuklearen Abschreckung: Das bedeutet den flexiblen Einsatz – auch kleinerer – Nuklearwaffen und damit die Führung eines „begrenzten Nuklearkrieges“, um den militärischen Gegner zu stoppen und von einer weiteren Eskalation abzuschrecken. Halten Sie das für eine effektive Strategie?

In den USA wird befürchtet, Russland könne im Falle eines Krieges etwa in den baltischen Staaten und eines hartnäckigen Widerstands der Nato eine Nuklearwaffe  relativ geringer Sprengkraft gegen Nato-Truppen oder eine Luftwaffenbasis in einem Nato-Land zünden und so versuchen, eine Kriegsbeendigung zu erzwingen. In den USA hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass man neuer nuklearer Fähigkeiten bedürfe, um entsprechend antworten zu können. Das hat viel mit der Beeinflussung von Wahrnehmungen zu tun. Dass ein Nuklearkrieg begrenzt werden kann, glauben auch die amerikanischen Militärs nicht wirklich.

Deutschland versteht Nuklearwaffen eher als „politische“ Waffen, die zur Abschreckung, aber nicht zum Einsatz bestimmt sind, die also Instrumente der Kriegsverhütung, nicht der Kriegsführung sind. Ist die Beunruhigung in Berlin über die US-Nuklearstrategie berechtigt?

Für die USA beruht Abschreckung auf der Fähigkeit, über vielfältige, selektiv einsetzbare Optionen zu verfügen. Die amerikanischen Militärplaner denken immer auch mit Blick auf das Versagen der Abschreckung und wie dann der Schaden, insbesondere der Schaden für das eigene Land, möglichst gering gehalten werden kann. Eine solche Nuklearstrategie kann die Illusion nähren, ein Nuklearkrieg könne begrenzt werden. Auf jeden Fall bedarf eine solche Strategie einer recht großen Zahl von Gefechtsköpfen und ist der Abrüstung und der strategischen Stabilität nicht förderlich.

Hat sich die sicherheitspolitische Lage Deutschlands unter der US-Präsidentschaft Donald Trumps verändert gegenüber der Präsidentschaft von Barack Obama?

Ja, nicht nur wegen der Bündnisskepsis dieses Präsidenten und seiner Neigung zu Alleingängen, etwa in der für Deutschland und Europa so wichtigen Frage des Atomabkommens mit Iran, sondern auch wegen der geringen Bedeutung, die die Rüstungskontrolle und Entspannungspolitik noch hat.

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