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Ursula von der Leyen stellt sich den Abgeordneten im Europaparlament

Am Dienstag, 16. Juli, stimmt das Europaparlament über die Präsidentin der Europäischen Kommission ab. Als Kandidatin hat der Europäische Rat Ursula von der Leyen vorgeschlagen, gegen 18 Uhr stellt sie sich zur Wahl. Es wird ein langer Tag für die Parlamentarier.
von Benedikt Dittrich · 15. Juli 2019

Wann wird gewählt?

Die Sitzung des Europäischen Parlaments beginnt bereits am Morgen: Ursula von der Leyen will voraussichtlich ab 9 Uhr ihre Pläne, Ideen und Visionen für die nächsten fünf Jahre in einer Rede vorstellen und erklären. Darauf folgt eine Aussprache und eine Debatte. Erst gegen 18 Uhr wird dann darüber abgestimmt, ob die CDU-Politikerin die neue Kommissionspräsidentin wird.

Wie läuft die Wahl ab?

Damit von der Leyen ihren Platz als neue Parlamentspräsidentin einnehmen darf, müssen sich über 50 Prozent der Abgeordneten für sie aussprechen – bei den insgesamt 747 Parlamentariern also mindestens 374. Bekommt sie keine Mehrheit, muss der Europäische Rat innerhalb eines Monats einen neuen Kandidaten finden, denn einen zweiten Wahlgang gibt es nicht.

Einen Fraktionszwang gibt es bei der Wahl allerdings auch nicht, jeder Abgeordnete entscheidet bei der geheimen Wahl nur nach seiner eigenen Überzeugung. Allerdings gilt auch: Jeder nicht abgegebene Stimme - wenn also kein Kreuz macht oder der Abgeordnete gar nicht anwesend ist - wird als Nein-Stimme gezählt.

Gibt es eine Mehrheit für Ursula von der Leyen?

Innerhalb ihrer eigenen Fraktion, der europäischen Volkspartei (EVP), kann sie auf eine breite Zustimmung hoffen. Damit hätte sie aber nur 182 Stimmen, sie ist also auf Unterstützung angewiesen. Grüne und Linke haben sich gegen sie ausgesprochen, die Konservativen unter der Führung von Polens Regierungspartei PiS (EKR, 62 Sitze) und Liberale (Renew, 108 Sitze) könnten hingegen mehrheitlich für sie stimmen. Selbst bei einer hundertprozentigen Zustimmung der drei Fraktionen hätte die CDU-Politikerin aber auch dann noch nicht die nötige Mehrheit, sondern nur 352.

Bleiben noch die Sozialdemokraten (S&D, 153 Sitze), die derzeit tief gespalten sind: Die 16 SPD-Abgeordneten sind kollektiv gegen die deutsche CDU-Politikerin, andere Sozialdemokraten haben sich für von der Leyen ausgesprochen. Viele haben offen gelassen, wie sie abstimmen werden. Wie groß der von den SPD-Politikern angeführte Widerstand ist, ist deswegen unklar. Am Ende könnten daher die Stimmen der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID, 73 Sitze) entscheidend sein, in der unter anderem die Europaabgeordneten der AfD zuhause sind.

Wie argumentieren Kritiker und Befürworter?

Hauptsächlich regt sich Kritik gegen das Verfahren an sich: Ursula von der Leyen stand bei der Europawahl nicht zur Wahl, sie war keine Spitzenkandidatin. Mit der Nominierung haben die europäischen Staats- und Regierungschefs das zuvor vorher verabredete Spitzenkandidatenprinzip unterlaufen. Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin im Europawahlkampf, ist die Nominierung „ein Rückschritt für ein transparenteres und demokratischeres Europa“. In dieselbe Kerbe schlägt Parteikollege Tiemo Wölken, der mit Barley zusammen im Europaparlament sitzt. Er nennt die Kandidatur von von der Leyen eine geschickte Inszenierung, die das Wahlergebnis missachtet. Außerdem vermisst er konkrete Ziele im vorläufigen Programm der Unionspolitikerin.

Befürworter halten dem entgegen, dass die derzeitige Bundesverteidigungsministerin eine weltgewandte Europäerin ist und für das Amt gut geeignet wäre. Europa brauche Stabilität und Handlungsfähigkeit, sagte beispielsweise der ehemalige EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber von der CSU. Vor allem die SPD wird dafür kritisiert, dass sie eine deutsche Politikerin an der Spitze der Kommission verhindern wollen.

Was hat Ursula von der Leyen im Europaparlament für Ziele formuliert?

Die Unionspolitikerin hat in ihrer Rede viel zum Thema Gleichberechtigung, europäische Einheit und Klimawandel formuliert. Sie betonte die Pflicht zur Seenotrettung, plädierte für einen stärkeren Kampf gegen den Klimawandel, will sich für einen europäischen Mindestlohn stark machen. Bis 2050 solle die EU klimaneutral wirtschaften, erklärt sie in ihrem als "Green Deal for Europe" formulierten Konzept, für eine Digitalsteuer will sie sich ebenso einsetzen, einen Aufschub des Brexit kann sie sich auch vorstellen, wenn es gute Gründe dafür gibt. Ihre Rede beginnt sie zunächst auf Französisch, wechselt dann ins Deutsche und am Ende spricht sie Englisch.

Welche Reaktion gab es auf ihre Rede am Dienstagmorgen?

Von Politikern und Journalisten wird die Rede von Ursula von der Leyen im Parlament gelobt, es gibt auch von Kritikern Applaus. Klarheit für die Abstimmung am Abend scheint die Auseinandersetzung mit ihren Themen aber nicht zu bringen. Einzig der Sprecher der rechten Fraktion ID, Jörg Meuthen von der AfD, kündigte im Anschluss an, dass sie nicht für die CDU-Politikerin stimmen werden. Die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Iratxe García Pérez kündigte an, zwar keine institutionelle Krise verursachen zu wollen, forderte aber gleichzeitig: "Europa muss die Verwundbarsten schützen. Wir brauchen ein klares Handeln gegen die Armut." Erst in der Fraktionssitzung am Nachmittag, gegen 16 Uhr, will sich die S&D-Gruppe festlegen. Die SPD-Mitglieder in der Fraktion, 16 Abgeordnete, wollen weiterhin gegen von der Leyen stimmen, auch Linke und Grüne bleiben offiziell bei ihrer Ablehnung. Die Liberalen wollen sich ebenfalls erst am Nachmittag festlegen.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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