Social Media im Europawahlkampf: Darauf setzen die Sozialdemokraten
Maurice Weiss/ostkreuz
Normalerweise ist Guido Maria Kretschmer für seine Modekreationen bekannt oder als Juror der TV-Sendung „Shopping Queen“. Doch auf dem Bild, das die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, auf Facebook teilt, trägt Kretschmer einen nicht supermodischen blauen Kapuzenpulli mit Europalogo – genau wie Barley selbst, die neben ihm steht: Werben für Europa.
Sie habe Kretschmer zum Gespräch für ihren Podcast „Europa ist die Antwort“ getroffen, kommentiert Barley das Foto. Viele Menschen liken das. Mit ihrem „Europa-Hoodie“ ist Barley in Sachen Europawahl auch auf Instagram und Twitter unterwegs, immer begleitet vom Hashtag #EuropaIstdieAntwort. Udo Bullmann, Vorsitzender der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament, ist ebenfalls fast unermüdlich auf Wahlkampftour durch Europa, in Berlin, Lissabon, Helsinki – ohne Europa-Hoodie, dafür mit dem paneuropäischen S&D-Hashtag #EuropeTogether. Auch SPE-Spitzenkandidat Frans Timmermans lässt seine Follower intensiv am Europa-Wahlkampf teilhaben. Ob er in Belgien, Österreich, Griechenland, Italien, Polen oder Deutschland auftritt: Mehrmals täglich postet Timmermans unter dem Hashtag #ItsTime (Es ist Zeit) auf Instagram, Twitter und Facebook.
Massive Online-Präsenz der Europakandidaten
Soziale Medien sind aus modernen Wahlkämpfen nicht mehr wegzudenken. Es hat sich eine Menge getan, seit Barack Obama 2008 Kanäle wie Facebook als erster Kandidat für ein hohes Regierungsamt umfassend für sich nutzte (#YesWeCan). Bernie Sanders beispielsweise war im US-Präsidentschaftswahlkampf 2017 auch deshalb überraschend erfolgreich, weil sein Social-Media-Team kreativer und effektiver war als die Teams anderer Kandidaten – vom Kult-Hashtag #FeeltheBern bis hin zu einprägsamen Memes.
Im aktuellen Europawahlkampf zeigen die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, anders noch als vor fünf Jahren, auch online massiv Präsenz. Die Auftritte in den sozialen Medien sind ganz auf die jeweilige Person zugeschnitten. Dabei stellt die Wahl, die – inklusive Großbritannien – in 28 Ländern vom 23. bis 26. Mai stattfindet, eine Herausforderung für den europäischen SPE-Spitzenkandidaten dar. Denn so sehr Englisch zur lingua franca Europas geworden ist: Es sprechen und verstehen längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger Englisch. Hier zahlt sich die Mehrsprachigkeit des Niederländers Frans Timmermans aus, der neben seiner Muttersprache Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und Deutsch spricht.
Frans Timmermans twittert selbst
Tim McPhie, Kommunikationsmanager der Timmermans-Kampagne, findet: „Wir haben großes Glück, einen Kandidaten zu haben, der mehrere europäische Sprachen fließend spricht und so in direkten und persönlichen Kontakt mit Wählerinnen und Wählern überall in Europa treten kann.“ Seine Kollegin Estela Piñeiro Kruik, bei der SPE verantwortlich für Veranstaltungskoordination, ergänzt: „Frans Timmermans versucht, immer in der jeweiligen Sprache des Ortes zu kommunizieren, an dem er sich gerade befindet.“ Das schafft Nähe zum örtlichen Publikum – analog und digital. Timmermans habe keine Hemmungen, sich der sozialen Medien zu bedienen und mache vieles selbst, wie beispielsweise twittern, erzählt Piñeiro Kruik. So gelinge es ihm, den mehrsprachigen Wahlkampf besser als viele andere gut zu bewältigen, darin sind sich McPhie und Piñeiro Kruik einig.
National wie auch auf europäischer Ebene kommt in den sozialen Medien ein Problem der besonderen Art hinzu: Trolle. Menschen, die intensiv nahezu alles kommentieren was gepostet wird, die in der Regel aber nur beschimpfen, degradieren und mit Fake News provozieren wollen. „Da wird sehr viel Hass abgeladen“, sagt Christof Mahnel, im Willy-Brandt-Haus zuständig für das Community Management der Social-Media-Kanäle und an der Online-Kommunikation des Europawahlkampfs beteiligt. Er weiß, wie wichtig es ist, Hasskommentare nicht einfach zu ignorieren: „Wir als Team müssen auf solche Kommentare innerhalb von 30 bis 60 Minuten reagieren, sonst ist die Debatte vorbei.“
„Digital Debating Team“ gegen Internettrolle
Weil der Umgang mit Trollen zeitintensiv und aufwendig ist, betreut Mahnel das sogenannte „Digital Debating Team“, eine Gruppe Ehrenamtlicher, die mobilisiert werden kann, wenn online eine Debatte hochkocht. Die fast 700 Freiwilligen kommentieren, moderieren und halten Trolle so in Schach – wenn es sehr viel Hatespeech gibt, auch mehrmals täglich. Sie kommen auch während des Europawahlkampfes zum Einsatz, wobei Mahnel im Zusammenhang mit dieser Wahl keinen Anstieg an Troll-Aktivitäten erkennen kann: „Generell nehmen die Attacken in den sozialen Medien zu, aber nur wenige davon haben thematisch mit der EU oder Europa zu tun. Es geht ja sowieso meistens nicht um Fakten oder Argumente.“
Tim McPhie warnt davor, Trollen zu viel Raum und Aufmerksamkeit zu geben. Abhängig von der jeweiligen Plattform blockiert, entfernt oder meldet sein Team Troll-Kommentare: „Je mehr man auf sie eingeht, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen sie. Sie machen eine Menge Lärm, aber wir haben Vertrauen, dass die Menschen sie als das sehen, was sie sind, nämlich Provokateure.“ McPhie setzt darauf, „dass unsere Botschaft die Menschen trotzdem erreicht, und dass wir sie von unserer positiven Vision für die Zukunft Europas überzeugen.“ Er glaubt, dass soziale Medien dabei eine große Hilfe sind: „Wir haben neue Kanäle, über die wir kommunizieren können und wir versuchen, dieses Potenzial zu maximieren.“
Bis zur Wahl sind es nur noch wenige Tage. Zeit für Timmermans und die nationalen Kandidaten, noch Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Offline, natürlich. Aber eben auch online. Mit Mehrsprachigkeit und Europa-Hoodie. #ItsTime.