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Skandinavien: Was sich Saskia Esken in Sachen Bildung abschauen will

Bei ihrer Reise nach Norwegen und Finnland entdeckt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken viele Aspekte, die im dortigen Bildungssystem besser laufen als in Deutschland. Doch in manchen Bereichen gibt es auch ganz ähnliche Probleme.
von Karin Nink · 22. August 2023
Zu Besuch an einer Schule in Norwegen: der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken.
Zu Besuch an einer Schule in Norwegen: der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken.

Fünf Kinder und zwei Lehrerinnen sitzen in der Willkommensklasse der Grundschule „Asen Skole“ und machen sich miteinander vertraut. Die Kinder kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, etwa aus Indien, Kuba und Kroatien. Weitere Kinder werden die Klasse noch verstärken. Das wissen die Lehrkräfte: Manche der Mädchen und Jungen kommen ein paar Tage später, heute ist erst der erste Tag im neuen Schuljahr. Alle sind entspannt.

Erkenntnisse für den Bundesparteitag sammeln

Die „Asen Skole“ liegt im Umland der norwegischen Hauptstadt Oslo und ist ein Programmpunkt in der Reise der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken nach Norwegen und Finnland. Dort will sich die Bildungsexpertin zusammen mit dem Hamburger Bildungssenator Ties Rabe, der auch Sprecher der SPD-geführten Bundesländer ist, über die skandinavischen Bildungssysteme informieren. Sie besuchen Schulen und Horts, treffen Expert*innen und erfahren viel über Digitalisierung in den Schulen und über Kita-Betreuung. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in den Leitantrag zur Bildung für den Bundesparteitag im Dezember 2023 einfließen.

In der „Asen Skole“ sind 90 Prozent der Schüler*innen keine Muttersprachler*innen, viele sprechen auch zu Hause nicht Norwegisch. Insgesamt reden die Kinder der Brennpunktschule in mehr als 50 Sprachen. Auch bei der an diesem Tag stattfindenden Einschulung ist die enorme Vielfalt der Schüler*innen zu erkennen. Damit den Kindern dennoch der Einstieg in die norwegische Gesellschaft gelingt, gibt es so gut wie in jeder Klasse zwei bis drei Fachkräfte, die sich um die Jungen und Mädchen kümmern. „Dann lässt sich eine Klasse auch schnell mal in kleinere Gruppen teilen“, sagt einer der Lehrer. „Wir haben den Blick auf jedes einzelne Kind und wollen Raum schaffen für alle“, erklärt später die Schulleiterin Nina Hoel Kjørstad ihr Konzept.

Norwegen: Zehn Jahre lang zusammen lernen

Ziel der Schulleitung ist es, dass die Erstklässler*innen am Ende des ersten Schuljahres so viel Norwegisch können, dass sie von nun an auch in den klassischen Fächern dem Unterricht folgen können. Dafür wird den besonders förderbedürftigen Kindern eingeräumt, dass sie einen Teil ihrer 19 Schulstunden, die in Norwegen anders als bei uns 60 Minuten betragen, nur in den Spracherwerb investieren.

Genügend Zeit haben die Kinder. Denn sie bleiben viel länger zusammen als im deutschen Schulsystem: In Norwegen lernen die Kinder in der Grundschule von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam, erst ab der achten Klasse gibt es Noten. Nach dem Ende der Grundschule können sie für die Sekundarstufe II wählen, ob sie eine berufspraktische oder eine akademische Richtung einschlagen wollen.

Zustimmung von Saskia Esken

Esken findet das richtig: „Wir müssen den Ansatz des längeren gemeinsamen Lernens auch bei uns unbedingt weiterverfolgen“, sagt sie. „Die frühzeitige Trennung in verschiedene Schulsysteme ist keine gute Idee, denn sie hilft vielen Kindern nicht weiter.“ Dabei ist in Norwegen auch die Ausstattung der Schulen vorbildlich, zum Beispiel wird jedem Kind ein Tablet zum Lernen zur Verfügung gestellt. Esken erwartet, dass das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Starchancen-Programm in Deutschland eine ähnlich positive Wirkung entfalten kann. Allerdings müssen sich Bund und Länder noch über die Kostenverteilung einigen. Auch mit dem Digitalpakt für moderne Schulen ist Deutschland schon einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. „Es hat wirklich noch nie eine so enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Interesse der Kinder gegeben“, lobt der Hamburger Bildungssenator Rabe.

Was die SPD-Vorsitzende aber auch umtreibt, ist der hohe Lehrerschlüssel, der in Norwegen möglich ist. „Wieviel Prozent ihrer Lehrkräfte arbeiten Teilzeit?“, fragt sie immer wieder und erntet mehr als einmal irritierende Blicke; „Keiner“, ist die Antwort. Alle sind in Vollzeit dabei.

Quereinstieg erleichtern

Davon kann die deutsche Bildungspolitikerin nur träumen. Laut der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) arbeiten 47 Prozent aller Lehrer*innen in Teilzeit – deutlich mehr als bei allen anderen Erwerbstätigen. Das ist ein Problem“, unterstreicht Esken. „Wenn alle Teilzeitkräfte nur eine Stunde mehr arbeiten würden, hätten wir rund 10.000 Vollzeitkräfte mehr im System“, rechnet sie in Norwegen vor. Damit ließe sich der eklatante Lehrer*innenmangel in Deutschland in der Tat spürbar reduzieren. Eine weitere Möglichkeit, absehbar mehr Lehrkräfte rekrutieren zu können, sieht sie darin, den Quereinstieg in den Lehrerberuf zu erleichtern. „Schüler können auch davon profitieren, wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin vorher andere Berufserfahrungen gesammelt hat.“

Dass die Gemeinschaft und nicht Leistungs- und Konkurrenzkampf in den norwegischen Schulen großgeschrieben wird, zeigt sich auch daran, dass Schulen und Hort deutlich enger miteinander verzahnt sind als in Deutschland. In der Schule und Hort „Ila Skole“ ist Friederike Hundhausen nicht nur die Direktorin des Horts, sondern auch Mitglied der Schulleitung. Sie spricht beim Hort von der „Aktivitätsschule“, die zu Schulzeiten von morgens bis 17 Uhr geöffnet ist. Davon sind 12 Stunden pro Woche umsonst, wer seine Kinder länger dort betreuen lässt, zahlt im Monat 100 Euro. Auch in den Ferien ist der Hort von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr offen. „Die Kinder lernen hier nicht nur mit Papier und Bleistift“, betont Hundhausen, sondern es gibt ganz unterschiedliche Aktivitäten: von der Hausaufgabenbetreuung über Kunst und Kreativität bis hin zu Sport.

Ähnliche Probleme wie in Deutschland

Doch bei allem Positiven, was Esken und Rabe mit nach Hause nehmen, belegen Bildungsstudien, dass Norwegen und Finnland auch die gleichen Probleme wie Deutschland haben: Die Basiskompetenzen, also Lesen, Schreiben, Texte verstehen und Mathe, gehen bei allen Grundschüler*innen spürbar zurück und reichen nicht aus. Bei uns betrifft das laut Ties Rabe bis zu 25 Prozent aller Kinder am Ende der vierten Klasse.

In Norwegen und Finnland, wo die Schulen schon vor 20 Jahren stark digitalisiert wurden und die Digitalisierung heute deutlich weiter fortgeschritten ist als bei uns, wird darüber diskutiert, ob es einen negativen Zusammenhang zwischen einer zu starken Nutzung des Internets und fehlenden Basiskompetenzen gibt. Klare Antworten gibt es dazu noch nicht. Tatsache bleibt, dass wir in Deutschland das gleiche Problem haben, ohne dass unsere Schulen schon stark digitalisiert sind.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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