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Rangliste der Pressefreiheit: Deutschland rutscht weiter ab

Am Dienstag hat „Reporter ohne Grenzen“ seine Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Im jährlich veröffentlichten Länderranking verlor Deutschland erneut drei Plätze und landete nur noch auf Rang 16.
von Jonas Jordan · 2. Mai 2022
„Reporter ohne Grenzen“ untersucht in jedem Jahr den Stand der Pressefreiheit weltweit. Deutschland ist im aktuellen Ranking um drei Plätze abgerutscht.
„Reporter ohne Grenzen“ untersucht in jedem Jahr den Stand der Pressefreiheit weltweit. Deutschland ist im aktuellen Ranking um drei Plätze abgerutscht.

Schon im Vorjahr hatte Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit, die die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen jährlich veröffentlicht, an Boden verloren. In diesem Jahr rutschte die Bundesrepublik erneut um drei Ränge ab und landete nur noch auf Platz 16. „Reporter ohne Grenzen“ führt drei zentrale Gründe für diese Entwicklung an: eine Gesetzgebung, die Journalist*innen sowie ihre Quellen gefährde, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.

Demnach lag die Zahl der gewaltsamen Angriffe mit 80 von der Nichtreegierungsorganisation verifizierten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich bei Protesten des „Querdenken”-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen. Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen, berichtet Reporter ohne Grenzen. Betroffene klagten demnach häufig über mangelnde Unterstützung durch die Polizei. Zudem wurden zwölf Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert.

Weiter abnehmende Pressevielfalt

Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer sowie eine Vielzahl nicht einzeln erfasster Fälle, in denen Journalist*innen beleidigt, bedrängt oder bedroht wurden. Vielfach seien sie an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert worden oder ihre Ausrüstung wurde beschädigt. Neu waren laut „Reporter ohne Grenzen“ im vergangenen Jahr akustische Angriffe mit Fußballfanfaren. Auch jenseits von Versammlungen seien Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2021 attackiert worden: zu Hause, im Gerichtssaal, in Fußballstadien.

Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisierte „Reporter ohne Grenzen“ den mangelnden Schutz von Journalist*innen sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, da diese eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsehe, ebenso wie die Reform des BND-Gesetzes und den sogenannten Staatstrojaner. Zudem beklagt die Organisation ein Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden. Sorge bereitet „Reporter ohne Grenzen“ darüber hinaus die weiter abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen. Wie in vielen anderen Ländern hätten sich wirtschaftliche Probleme der Medien durch die Corona-Krise verstärkt. Nur zwei Länder weltweit (Norwegen und Schweden) zeigten im neu geschaffenen Indikator „wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ eine „gute Lage“; in Deutschland war sie (wie auch die Gesamtsituation) „zufriedenstellend“.

Norwegen wieder vorn

Norwegen ist es auch das Land, das nun zum sechsten Mal in Folge das Ranking anführt. Ausschlaggebend dafür seien ein großer Medienpluralismus, eine große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, starke Informationsfreiheitsgesetze und ein trotz gelegentlicher Online-Attacken journalistenfreundliches Klima. Direkt dahinter folgen mit Dänemark und Schweden zwei weitere skandinavische Länder. Mit Estland auf Platz vier ist erstmals eine ehemalige Sowjetrepublik unter den Top 5 zu finden. Anders als in anderen Ländern verzichteten Politiker*innen dort weitgehend auf Attacken auf Medienschaffende, was kritische Berichterstattung erleichtere, so die Begründung.

Weltweit bestimmten Krisen, Kriege und Gewalt jedoch die Lage der Pressefreiheit seit Beginn des Jahres 2021. Seit dem groß angelegten Angriff auf die Ukraine existiere in Russland (Platz 155) praktisch keine Pressefreiheit mehr. Bereits vor Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 habe der Kreml den Druck auf unabhängige Medienschaffende massiv erhöht: Mehr als einhundert Journalist*innen sowie ganze Redaktionen waren 2021 zu sogenannten „ausländischen Agenten“ erklärt worden, viele stellten ihre Arbeit deswegen ein.

Russland: Journalist*innen drohen 15 Jahre Haft

Ende Februar 2022 verbot die russische Medienaufsichtsbehörde Wörter wie „Krieg“, „Angriff“ und „Invasion“ in der Berichterstattung über die Ukraine, wenig später drohte ein neues Gesetz mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für angebliche Falschinformationen über die russische Armee. Die kremlkritischen Sender Doschd und Radio Echo Moskwy stellten daraufhin ihre Arbeit ein, hunderte unabhängiger Journalist*innen verließen das Land. Am 28. März stellte auch die Zeitung Nowaja Gaseta unter Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow den Redaktionsbetrieb ein. Ausländische Netzwerke wie Twitter, Facebook und Instagram sind in Russland blockiert.

Auch in der Ukraine (Platz 106) verschlechterte sich die Lage seit dem russischen Angriff erheblich. Mindestens sieben Medienschaffende wurden nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ in den ersten zwei Monaten der Kämpfe während ihrer Arbeit getötet. Russische Truppen griffen gezielt Medienteams an und bombardierten Fernsehtürme in mehreren Städten. Mehrmals wurden Medienschaffende entführt oder ihre Familienangehörigen unter Druck gesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen. Am 20. März legte Präsident Wolodymyr Selenskyj die landesweiten Fernsehsender per Dekret zusammen, um eine einheitliche Informationspolitik verfolgen zu können.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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