Nahverkehr in Europa: Wie andere Länder Bus und Bahn attraktiv machen
IMAGO/Volker Preußer
Was in Deutschland mit dem dritten Entlastungspaket demnächst geplant ist, hat Spanien schon vor einiger Zeit auf den Weg gebracht: die Einführung einer Zufalls- oder Übergewinnsteuer. „Die Lasten des Krieges sollten gerecht verteilt werden. Das ist der Grund, warum wir diese Maßnahmen verabschiedet haben“, begründete der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez kürzlich am Rande der Klausurtagung der Bundesregierung bei einem gemeinsamen Pressestatement mit Bundeskanzler Olaf Scholz diese Steuer. Er sprach von Maßnahmen, die „die breite Unterstützung der spanischen Wählerschaft genießen“ und der breiten Mittelschicht zugutekämen.
Pendler*innen fahren gegen Kaution
Denn Spanien hat diese Steuer nicht bloß eingeführt, um die Einnahmen des Staates zu erhöhen, sondern steckt diese direkt in die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Dieser ist für Pendler*innen von September bis Dezember größtenteils kostenlos. Allerdings ist das Modell etwas komplizierter als das 9-Euro-Ticket, das hierzulande bereits Ende August auslief. Denn wer das Gratis-Ticket nutzen möchte, muss sich zunächst bei der spanischen Bahngesellschaft Renfe registrieren lassen und je nach Streckenlänge eine Kaution von 10 oder 20 Euro entrichten. Diese wird zurückerstattet, wenn das Ticket in den betreffenden vier Monaten für mindestens 16 Fahrten im jeweiligen Verkehrsnetz genutzt wurde.
Auch gilt das Ticket immer nur für einen Verkehrsverbund. Wer in einer anderen Region fahren möchte, muss sich erneut registrieren und eine weitere Kaution entrichten. Auch gilt das Gratis-Abo beispielsweise nicht für das Nahverkehrsnetz in Barcelona. Dort gibt es ohnehin seit Jahren lautstarken Protest gegen die marode Infrastruktur. Unter dem Motto „Wenn Madrid nicht zahlt, zahlen wir nicht“, rufen verschiedene Organisationen zu zivilem Ungehorsam und Fahren ohne gültiges Ticket auf.
Ohne Ticket in Luxemburg
Das wiederum wäre in Luxemburg seit März 2020 kein Problem mehr. Denn seitdem ist im flächenmäßig kleinsten Nachbarland Deutschlands die Fahrt mit Bus, Bahn oder Tram kostenlos. Fahrscheinautomaten sucht man im Großherzogtum vergeblich. Auch die Stellenbeschreibung von Fahrkartenkontrolleuren hat sich geändert. Sie verteilen Auskünfte statt Bußgeldern. Mit der Einführung des kostenlosen Nahverkehrs ist das kleine Land weltweit Vorreiter. Dennoch bewegen sich die Mehrkosten mit circa 40 Millionen Euro pro Jahr bei 640.000 Einwohner*innen laut dem luxemburgischen Verkehrsminister François Bausch im Rahmen. Denn schon zuvor seien 90 Prozent der Kosten für den öffentlichen Nahverkehr aus Steuermitteln finanziert worden. Zugleich baut Luxemburg die Anzahl der Park-and-ride-Parkplätze stark aus, um den Umstieg auf Bus und Bahn auch für Pendler aus Deutschland, Frankreich und Belgien attraktiver zu machen.
Für einen Euro pro Tag in Wien
Andere europäische Länder folgen inzwischen dem luxemburgischen Beispiel. Auch in Malta ist der ÖPNV ab 1. Oktober für alle Bürger*innen kostenlos, ebenfalls finanziert aus Steuermitteln. In der estnischen Hauptstadt Talinn ist das bereits seit 2013 für alle in der Stadt gemeldeten Menschen Realität.
Wien setzt dagegen auf ein anderes Modell. Die österreichische Hauptstadt gilt vielen als Vorreiterin mit Blick auf preisgünstige Mobilität. Schon seit zehn Jahren kann man im gesamten Stadtgebiet von Wien für einen Euro pro Tag ein Jahr lang Busse und Bahnen nutzen. Das zahlt sich aus. In Umfragen geben weit mehr als 90 Prozent der Wiener*innen an, mit dem Angebot im Nahverkehr zufrieden zu sein. Kein Wunder, denn nach Angaben der Wiener Linien haben 96 Prozent der Menschen in der österreichischen Hauptstadt eine Haltestelle in Gehweite. Das Verkehrsprojekt der rot-grünen Stadtregierung zahlt sich auch insofern aus, als dass es seit 2015 mehr Jahreskarteninhaber als Autobesitzer in Wien gibt. Das 365-Euro-Ticket hat sich somit zum Erfolgsmodell entwickelt und dient damit auch als Vorbild für andere Regionen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo