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Mögliches Verbot der HDP: Bewährungsprobe für die türkische Opposition

In der Türkei mehren sich die politischen Angriffe auf die kurdennahe HDP. Erdogans ultranationalistische Bündnispartner fordert sogar ein Verbot der Partei. Die Opposition vollführt einen Drahtseilakt.
von Kristina Karasu · 8. März 2021
Droht der HDP in der Türkei das Verbot? Die Co-Vorsitzende Pervin Buldan (hier bei einem „Demokratie-Spaziergang“ in Ankara im vergangenen Jahr) zeigt sich kämpferisch.
Droht der HDP in der Türkei das Verbot? Die Co-Vorsitzende Pervin Buldan (hier bei einem „Demokratie-Spaziergang“ in Ankara im vergangenen Jahr) zeigt sich kämpferisch.

Das politische Karussell der Türkei dreht sich derzeit so schnell, dass einem als Beobachter*in schwindelig wird. Vergangene Woche verkündete Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stolz einen umfangreichen „Aktionsplan Menschenrechte“. Der klang verlockend: Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sollen damit gestärkt, die Unabhängigkeit der Justiz gewährleistet werden. Das solle die Grundlage für eine neue „zivile Verfassung“ bilden, die die Türkei bis 2023 erhalten solle.

Zeitgleich bereitet Erdogans Regierung allerdings die Aufhebung der Immunität zahlreicher Abgeordneter der kurdennahen HDP vor, immerhin drittgrößte Partei des Landes. Erdogan ultranationalistischer Bündnispartner Devlet Bahceli forderte sogar ein Verbot der HDP und mahnte die Gerichte dafür zur Eile. Wie passt all das zusammen?

Tausende HDP-Mitglieder sitzen in Haft

Für Erdogan scheint die Sache sonnenklar. Die HDP sieht er als politischen Arm der verbotenen PKK, als „Handlanger einer Terrororganisation“. Das predigt er schon seit Jahren, besonders aber seit Mitte Januar. Da wurden neun türkische Geiseln im Nordirak mutmaßlich von der PKK erschossen; eine Militäroperation des türkischen Militärs konnte nur ihre Leichen bergen. Seither machen Erdogan und Bahceli nicht nur die Terrormiliz, sondern auch die HDP für das Massaker verantwortlich – und rechtfertigen damit jeden politischen Druck.

Schon seit Jahren sitzen tausende von HDP-Mitgliedern in Haft, darunter ihr populärer Ex-Vorsitzender Selahattin Demirtas. Obwohl der europäische Menschengerichtshof wiederholt seine Freilassung forderte, weigert sich Ankara, das Urteil umzusetzen. Der EU-Ministerrat will sich mit dem Thema am 10. März befassen.

Zudem wurden seit 2019 mehr als 50 der 69 HDP-Bürgermeister*innen abgesetzt und durch regierungsnahe Zwangsverwalter*innen ersetzt. Die jüngsten Forderungen sollen die HDP nun vollkommen handlungsunfähig machen.

Die HDP denkt nicht ans Aufgeben

Die HDP-Parteispitze präsentierte sich am Freitag gegenüber ausländischen Journalisten in Istanbul jedoch kämpferisch. Laut der Co-Vorsitzenden Pervin Buldan nutze Erdogan die Angriffe auf die HDP, um von wirtschaftlichen und politischen Krisen abzulenken: „Doch ein Verbot unserer Partei würde die bestehenden Krisen nur verstärken“, betonte sie. Gleichzeitig machte die Parteispitze klar, dass sie umgehend eine neue Partei gründen würde, sollte die HDP verboten werden.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden schon zahlreiche Kurdenparteien in der Türkei verboten, auch die Vorgängerpartei der HDP. Die Mitglieder gründeten jedes Mal eine neue Partei. Aufzugeben, daran denke man auf keinen Fall, so Buldan.

Erdogan selbst hält sich beim Thema HDP-Parteiverbot bisher bedeckt. „Ein Verbot der HDP könnte allenfalls kurz vor einer Neuwahl für Erdogan von Nutzen sein, wenn nicht genügend Zeit bleibe, eine neue Partei zu gründen“, meint der französische Politologe und Fellow des Istanbul Policy Centers Yohanan Benhaim. Ohnehin sei es für Erdogan viel effektiver, sich die HDP als Zielscheibe zu erhalten, um den Boden für die Opposition zu verminen. Seit etwa die republikanische Volkspartei CHP 2019 die Kommunalwahlen in Istanbul und Ankara auch durch viele Stimmen von HDP-Wählern gewann, wird Erdogan nicht müde, die CHP als Terror-Unterstützer zu diffamieren.

Die HDP ist für Erdogan Staatsfeind Nummer eins

Die HDP erklärt alle Terror-Vorwürfe gegenüber sich als haltlos. Zwar ist in der Türkei wohlbekannt, dass sich unter den Mitgliedern als auch den Wähler*innen der HDP manche PKK-Sympathisant*innen befinden. Allerdings setzt sich die Partei für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage ein, sieht sich in der Vermittlerrolle. Das war einst sogar gewünscht: Als die Erdogan-Regierung 2013 einen Friedensprozess mit der PKK begann, wurde die HDP im Auftrag der Regierung für Verhandlungen in PKK-Camps oder zum inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan geschickt.

2015 schaffte die HDP zum ersten Mal den Einzug ins Parlament; Erdogan allerdings verlor dabei seine Regierungsmehrheit. Kurz darauf beendete Erdogan den Friedensprozess, setzt seither auf die Unterstützung der ultrarechten MHP und fährt einen streng nationalistischen Kurs. Die HDP ist für ihn seither Staatsfeind Nummer eins.

Mit diesem Kurs konnte Erdogan immer wieder den Rest der Opposition mit ins Boot holen. Schließlich sind nationalistische Ideologien und Misstrauen gegenüber der Kurdenbewegung in vielen türkischen Parteien verbreitet. 2016 erreichte Erdogan, dass die Immunität vieler HDP-Abgeordneter auch mit Stimmen der CHP aufgehoben wird. Auch türkische Militäroperationen gegen Kurdenmilizen in Nordsyrien unterstützte die Schwesterpartei der SPD bisher.

Heute zeigt sie sich allerdings differenzierter. CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu erklärte am Wochenende, solange es keine unabhängige Justiz gebe, würden Anklagen gegen HDP-Abgeordnete „die Demokratie verraten“. Meral Akşener, Chefin der mitte-rechts orientierten IYI-Partei betonte, man werde jede Akte genau prüfen, bevor man für oder gegen eine Aufhebung der Immunität stimme. Die HDP-Spitze bewertete diese Reaktionen der Opposition als positiv. Einen Keil zwischen die Oppositionsparteien zu treiben, ist Erdogan mit diesem Manöver – vorerst – nicht gelungen. Trotzdem bleibt die Kurdenfrage für die Opposition ein Minenfeld.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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