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Klimawandel und Wirtschaftswachstum: Dürfen wir künftig noch Auto fahren?

Wie ist eine nachhaltige Wirtschaft ohne Ausbeutung der natürlichen Ressourcen möglich? Und welche individuellen Freiheiten müssen wir dafür aufgeben? Darum ging es in einer Diskussion mit der SPD-Europaabgeordneten Delara Burkhardt.
von Jonas Jordan · 20. August 2020
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Am Samstag ist Erdüberlastungstag. An diesem Tag hat die Weltbevölkerung für 2020 alle Ressourcen verbraucht, die innerhalb eines Jahres natürlich nachwachsen können. Doch wie ist eine nachhaltige Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen möglich? Darum ging es am Mittwochabend in einer Online-Diskussion mit der SPD-Europaabgeordneten Delara Burkhardt auf Einldung des BUND Hamburg, des Julius-Leber-Forums der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg. Die Schleswig-Holsteinerin Burkhardt ist seit 2019 die jüngste deutsche Europaparlamentarierin und gehört in Brüssel und Straßburg dem Umweltausschuss an. Entsprechend involviert ist sie in die parlamentarische Debatte über die Umsetzung des European Green Deal, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor einigen Monaten vorgestellt hat.

Klimaschutz und soziale Mindeststandards verbinden

Burkhardt kritisiert, dass die soziale Dimension im Green Deal völlig marginalisiert sei, weil die Konservativen auf europäischer Ebene in diesem Bereich nicht zu Zugeständnissen bereit gewesen seien. „Dabei haben wir an den Gelbwesten in Frankreich gesehen, was für ein soziales Sprengpotenzial ökologische Umwerfungen haben“, sagt Burkhardt. Grundsätzlich gehe es ihr im Zusammenhang mit dem Klimaschutz nicht nur darum, soziale Mindeststandards zu definieren, sondern Umverteilung und Teilhabe für alle Menschen zu erreichen. Denn: „Klimawandel trifft vor allem diejenigen, die ohnehin am wenigsten haben“, macht die jüngste SPD-Europaabgeordnete deutlich. 

Deswegen müsse man jetzt Politik machen, die die Lebensgrundlagen für kommende Generationen sichere. „Denn Maßnahmen, die wir jetzt nicht treffen, werden künftige Generationen sehr teuer zu stehen kommen“, so Burkhardt. Im Zusammenhang mit dem European Green Deal fordert sie Nachbesserungen im Bereich der Agrar- und Handelspolitik, auch um stärker den Fokus darauf zu legen, welche Auswirkungen die Politik der EU in diesem Sektor auf globale Ungleichheiten habe. Doch bei aller Kritik betont Burkhardt: „Ich sage ganz pragmatisch, dass wir jetzt mit diesem Deal arbeiten müssen.“

Worauf müssen wir verzichten?

Deutlich provokativer argumentiert die taz-Journalistin Ulrike Herrmann, die Scheinheiligkeit in der politischen Debatte moniert: „Es wird den Leuten immer versprochen, es geht so weiter wie bisher für euch, aber auf wundersame Weise ist hinterher alles klimaneutral.“ Dabei dürfe beispielsweise das private Auto keine Funktion mehr haben, wenn man es ernst meine mit dem Klimaschutz. Auch Fleischkonsum und der Ressourcenverbrauch für Streaming-Angebote müssten auf den Prüfstand.

Dem widerspricht der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold: „Wachstumskritiker tun so, als sei das Wachstum die zentrale Frage, aber die zentrale Frage ist die Einhaltung der planetaren Grenzen. Wie viel Wirtschaftsleistung innerhalb dieser Grenzen möglich ist, wissen wir alle nicht genau.“ Die Aussage, es könne keine privaten Pkw mehr geben, folge nicht der Wissenschaft, sondern sei lediglich eine zugespitzte Überschrift. „Es gibt eine bestimmt Menge CO2, die wir noch emittieren dürfen. Doch wie viel wofür genutzt wird, ist Teil der Freiheit“, führt Giegold aus.

Burkhardt: „Seid laut und lasst uns Brücken bilden!“

Herrmann erläutert hingegen, entscheidend sei letztlich, wie hoch der CO2-Ausstoß sei. Um diesen zu reduzieren, seien sowohl eine Verteilungs- als auch eine Verzichtsdebatte notwendig. In Bezug auf Burkhardts Ausführungen zur Handels- und Agrarpolitik der EU sagt sie: „Ich finde es Quatsch, dass man immer diese Moraldiskussionen führt.“ Doch diese hält argumentativ dagegen: „Moralisieren hat Leute für die Klimafrage mobilisiert. Deswegen finde ich es schon wichtig, dieses Argument anzubringen. Es braucht eine Verzichtsdebatte, aber es tauchen damit Konflikte auf.“

Die SPD-Europaabgeordnete appelliert zudem in Bezug auf Klimaschutzdiskussionen auf europäischer Ebene: „Nur weil die Überschrift und Rhetorik von Ursula von der Leyen nicht passen, müssen wir uns nicht von dem Projekt abwenden, sondern gerade dann noch viel mehr und aktiv fordern, dass viel mehr an Bewegung kommt und genau hinschauen. Jedes Engagement wird gebraucht, aber wir müssen die Brücke schlagen zwischen Europaparlament und sozialen Bewegungen. Seid laut und lasst uns Brücken bilden!“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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