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Georgien: Wie die Demokratiebewegung um einen Platz in Europa kämpft

Die Demonstrant*innen in Georgien setzen sich nicht nur gegen ein repressives Gesetz ein. Sie kämpfen für ein freies Leben in der EU und gegen die russische Vorherrschaft. Ein Aktivist vor Ort berichtet.

von Nika Vetsko · 3. Juni 2024
Georgische und Europa-Fahnen: Sie sind bei den Protesten gegen das „Ausländische Agentengesetz“ überall auf den Straßen von Tiflis zu sehen.

Georgische und Europa-Fahnen: Sie sind bei den Protesten gegen das „Ausländische Agentengesetz“ überall auf den Straßen von Tiflis zu sehen.

Seit mehr als einem Monat stehe ich an der Seite meiner georgischen Landsleute und protestiere gegen das Gesetz „Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ nach russischem Vorbild. Wir protestieren aber gegen viel mehr als nur gegen ein Gesetz. Wir protestieren gegen eine unterdrückerische und nur allzu vertraute Vergangenheit, von der wir uns immer noch nicht befreien konnten. Die überwältigende Mehrheit der Demonstrant*innen gehört wie ich der ersten Generation an, die in einem freien, demokratischen Georgien geboren wurde und aufgewachsen ist. Dennoch ist das Leben in Georgien seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion vor 33 Jahren ein ständiger Kampf gegen die russische Vorherrschaft.

Obwohl 80 Prozent der Georgier*innen den Beitritt zur Europäischen Union befürworten, könnte Georgien seinen Status als EU-Beitrittskandidat verlieren, wenn das Gesetz in der jetzigen Form in Kraft tritt. Seit Wochen wird mein Leben deshalb von ständigen Protesten beherrscht. Jeden Abend treffe ich mich vor dem Parlament oder an einem anderen zentralen Ort mit zehntausenden Demonstrant*innen.

Erinnerungen an dunkle Zeiten

Als die Generation, die die Zukunft repräsentiert, weigern wir uns, in eine autoritäre Vergangenheit zurückversetzt zu werden, in der unsere Großeltern und Urgroßeltern von Erschießungskommandos getötet, in Gulags deportiert oder gezwungen wurden, aus ihren Häusern zu fliehen, um ihre Familien nie wiederzusehen, und das alles nur, weil sie nach einem unabhängigen Georgien strebten. Wenn meine Großmutter erzählte, wie der KGB mitten in der Nacht ihr Haus stürmte und es auseinandernahm, um ihre Familie einzuschüchtern und sie an ihre Ohnmacht zu erinnern, hörte ich immer ungläubig zu. Heute, 70 Jahre später, scheint eine solche Aussicht der Realität viel zu nahezukommen.

Menschen aus meinem Umfeld wurden verhaftet, geschlagen und unter Druck gesetzt – nicht nur von der Polizei, sondern auch von maskierten Personen, von denen man annimmt, dass sie auf Anweisung der Regierung handeln, um Angst zu schüren. Ich selbst wurde am 9. Mai von der Polizei angehalten und zu einem Bußgeld von umgerechnet 340 Euro verurteilt, weil ich während einer Demonstration absichtlich eine öffentliche Straße mit meinem Moped versperrt haben soll.

Mehr als eine abstrakte Idee

Durch die Brille unserer gemeinsamen Vergangenheit verstehen wir, dass es in unserem Kampf nicht um ein Gesetz geht, sondern um die existenzielle Bedrohung, der unser Land seit hunderten von Jahren ausgesetzt ist. Unzählige Georgier*innen haben gegen diese Bedrohung gekämpft und dabei oft ihr Leben verloren. Heute kämpfen wir für mehr als nur eine abstrakte Idee von Europa. Wir kämpfen für das Recht, in Würde zu leben, ohne befürchten zu müssen, dass ein Richter oder Polizist auf Befehl der Regierung gegen uns vorgeht, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Wir kämpfen für die Rede- und Meinungsfreiheit, damit wir ohne Angst leben können, unseren Arbeitsplatz zu verlieren oder wegen unserer Überzeugungen ins Gefängnis zu kommen. Wir kämpfen dafür, dass unsere Stimme, wenn wir sie an der Wahlurne abgeben, den Willen des Volkes widerspiegelt und nicht eine Realität, die von jemandem geschaffen wurde, der einer ganzen Nation seinen Willen aufzwingen will. 

Wir kämpfen dafür, dass künftige Generationen in ihrer Heimat gedeihen können und nicht gezwungen sind, auf der Suche nach einem besseren Leben auszuwandern. Wir kämpfen dafür, dass Rentner*innen nicht zwischen Lebensmitteln und lebensrettenden Medikamenten wählen müssen und dass eine ärztliche Diagnose nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil ist. Mehr als alles andere kämpfen wir für unseren Platz in Europa, damit wir unser eigenes Schicksal sicher verwirklichen können, frei von äußeren Kräften, die uns ihren Willen aufzwingen wollen. Für all das kämpfen wir aus denselben Gründen wie unsere Vorfahren: um unseren Weg in ein freies und wohlhabendes Georgien zu bestimmen, und das bedeutet im Jahr 2024, unseren Platz in Europa zu sichern.

Autor*in
Nika Vetsko

ist Journalist, Redakteur und Projektmanager und hat für verschiedene Non-Profit- und Medienorganisationen mit Schwerpunkt auf der Südkaukasus-Region gearbeitet.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 03.06.2024 - 14:18

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Das georgische Parlament hat das Gesetz „Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ verabschiedet. Nach dem Vorbild eines USAmerikanischen Gesetzes (Foreign Agents Registration Act, FARA) und mir wird immer erzählt das wäre russisch.
Übrigens ist die Einmischung in die innere Angelegenheiten anderer Staaten per UNO Charta sowieso verboten
Und dann darf man auch nicht vergessen, daß die derzeitige georgische Präsidentin Salome Surabischwil allerhöchstselbst, gebürtig in Paris, nebenbei noch französische Staatsbürgerin ist.
Stand das in der Bibel ? - Du sollst nicht scheinheilig sein.