Europawahl: Warum Europas Sozialdemokrat*innen in Rom Hoffnung schöpfen
Bei ihrem Kongress in Rom stimmen sich die europäischen Sozialdemokrat*innen auf die Europawahl im Juni ein. Dabei machen die prominenten Redner*innen deutlich, was diese Wahl so wichtig macht.
Maurice Weiss | Ostkreuz
Gemeinsam für Europa: Nicolas Schmit, Elly Schlein, Olaf Scholz, Stefan Löfven und Giacomo Fillibeck (v.l.) in Rom
„Eigentlich“, sagt Elly Schlein, „wollten wir, dass ihr uns etwas Hoffnung macht. Wir wollten euch das Desaster zeigen, das eine extrem rechte Regierung bringt.“ Seit vor eineinhalb Jahren die Postfaschistin Giorgia Meloni die italienische Parlamentswahl gewann, drifte das Land auseinander. Sozialleistungen würden drastisch beschnitten, die Rechte von Minderheiten quasi abgeschafft. Genau deshalb habe der „Partito Democratico“, die sozialdemokratische Partei Italiens, der Schlein vorsitzt, Europas Sozialdemokrat*innen eingeladen, ihren Kongress zur Wahl des Spitzenkandidaten für die Europawahl in Rom abzuhalten.
Sardinien macht Europas Sozialdemokrat*innen Hoffnung
Dass es nun etwas anders kam, liegt an Alessandra Todde. Überraschend gewann die linke Kandidatin vor ein paar Tagen die Regionalwahl auf Sardinien gegen den Kandidaten Melonis. „Nun können wir vielleicht auch etwas Hoffnung zurückgeben“, sagt Elly Schlein deshalb. Die Hoffnung, dass der von vielen befürchtete Durchmarsch der extremen Rechten bei der Europawahl ausbleibt. Und so beziehen sich viele der Redner*innen beim SPE-Kongress in der italienischen Hauptstadt auf den Überraschungserfolg auf der italienischen Insel.
„Die extreme Rechte ist schlagbar“, sagt SPE-Generalsekretär Giacomo Fillibeck. Und auch SPE-Präsident Stefan Löfven gratuliert zu dem Wahlerfolg. „Rom ist deshalb der richtige Ort, um unsere Kampagne für die Europawahl zu beginnen“, findet er. Diese werde die wichtigste Wahl seit 1979, dem Jahr also, in dem das Europäische Parlament erstmals von den Bürger*innen und nicht den nationalen Parlamenten gewählt wurde. „Es geht im Juni um die Frage: Bekommen wir ein rechtes Europa oder ein progressives“, sagt Stefan Löfven.
20 Punkte für ein gerechteres Europa
Geht es nach dem Schweden, ist die Antwort klar: „Die SPE ist die einzige politische Kraft, die zu einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft führt“, ist Löfven überzeugt. Wie das konkret aussehen soll, hat sie in einem 20 Punkte umfassenden Wahlmanifest aufgeschrieben, das die Delegierten in Rom beschließen. Die Sicherung hochwertiger Arbeitsplätze gehört ebenso dazu wie Steuergerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum die Wahrung der Rechtstaatlichkeit und der Einsatz für Kinder und Jugendliche. „Europa muss der erste Kontinent werden, der Kinderarmut überwindet“, fordert Stefan Löfven.
Und auch der Kampf gegen den Klimawandel stehe bei der Europawahl „auf dem Wahlzettel“. Mit einem sozial gerecht gestalteten Green Deal – einem „grünen Deal mit rotem Herz“, wie es im Wahlmanifest heißt – formuliere die SPE die richtige Antwort auf den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. „Es geht nicht nur um den Umbau, sondern um einen gerechten Umbau“, betont deshalb auch Mette Frederiksen. Aus Sicht der dänischen Ministerpräsidentin „wird Resilienz das entscheidende Thema bei der Europawahl sein“.
Ebenso wichtig dürfte die Frage der europäischen Verteidigung werden. In ihrem Wahlmanifest fordert die SPE deshalb, die EU müsse „mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit und Verteidigung übernehmen“ und eine „europäische Verteidigungsindustrie“ aufbauen. „Man kann mit Worten keinen Krieg gewinnen“, sagt Mette Frederiksen und fordert mehr Unterstützung für die Ukraine. „Putin hat nicht nur die Ukraine angegriffen, sondern auch die regelasierte Weltordnung.“
Reaktion auf Corona-Pandemie als Vorbild
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ruft seine Genoss*innen in Rom zur Unterstützung der Ukraine auf. „Wir wollen keinen Krieg zwischen Russland und der NATO und werden alles tun, diese zu verhindern“, sagt Scholz. Doch sei entscheidend, dass die Ukraine Russland weiter Widerstand leisten können. „Der Krieg in der Ukraine endet in dem Moment, in dem Putin seine Truppen zurückzieht“, betont der Bundeskanzler.
In seiner Rede hebt Scholz auch die Wichtigkeit der EU in einer Welt aufstrebender Mächte wie China oder Indiens hervor. „Um in der Welt eine Stimme zu haben, müssen wir Europäer zusammenhalten“, sagt er. In der Corona-Pandemie hätten die Staaten gezeigt, wie es geht. Darauf gelte es nun bei der klimagerechten Transformation aufzubauen.
Der Glaube an Veränderung
Genauso sieht es Spaniens Regierungschef Pédro Sanchez. In der Corona-Pandemie „waren es wieder einmal sozialdemokratische Ideen, die uns gerettet haben“, erinnert Sanchez an das Programm „SURE“, über das die EU-Staaten Programme für Kurzarbeit während der Pandemie finanzieren konnten, oder den Wiederaufbauplan „Next Generation EU“. Für beide zeichnete vor allem EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit verantwortlich, der in Rom zum gemeinsamen Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt wird.
„Nun ist es wieder unsere Aufgabe sicherzustellen, dass wir in Europa keinen negativen Kurs einschlagen“, sagt Sanchez und warnt vor den erstarkenden extremen rechten Kräften in Europa. „Alle Fortschritte, die wir erreicht haben, sind dadurch in Gefahr.“ Die SPE müsse der Angsterzählung der Rechten den „Glauben an Veränderung“ entgegensetzen, sagt Sanchez. „Europa soll Leuchtfeuer für Demokratie und Menschenwürde bleiben.“
Die Mehrheit muss laut werden
„Die Rechten wollen die Uhr zurückdrehen“, warnt auch Iratxe García Pérez. Um ihnen etwas entgegenzusetzen, müsse „das europäische Projekt“ den Menschen wieder nähergebracht werden, meint die Vorsitzende der Sozialdemokrat*innen im Europaparlament. „Fortschritt muss nachhaltig sein, sonst ist es kein Fortschritt.“ Und: „Der Green Deal muss ein gerechter Deal sein.“
„Für uns Sozialdemokraten müssen die sozialen Fragen im Mittelpunkt unserer Politik stehen“, ist auch Lars Klingbeil überzeugt. „Wenn wir das tun, werden wir Wähler zurückgewinnen.“ Der SPD-Vorsitzende berichtet in Rom von den Großdemonstrationen, die seit Wochen in Deutschland für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus stattfinden. „Das gibt uns Motivation“, sagt Klingbeil und fordert: „Die Mehrheit muss jetzt laut werden.“
Wie verhalten sich die Konservativen?
Dass die Europawahl dafür der beste Zeitpunkt ist, stellt Katarina Barley in Rom heraus. „Das Europaparlament kann ein Gegengewicht sein zu den rechten Regierungen in Europa“, sagt die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl. Dafür allerdings müssten die progressiven Kräfte am 9. Juni die Mehrheit bekommen. „Wir sind die einzige Partei, die das Soziale, die Demokratie und die Nachhaltigkeit miteinander verbindet“, sagt Barley. Auf die Konservativen dagegen sei kein Verlass. „Sie flirten nicht nur mit dern Rechten“, warnt Barley. Wenn sich die Gelegenheit biete, würden sie auch zusammenarbeiten. „Konservative und Liberale öffnen die Tür für die extreme Rechte. Das müssen wir klar benennen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.