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EU-Beitritt der Ukraine: „Es darf nicht nur um Symbolpolitik gehen.“

Im Juni will die EU-Kommission das Beitrittsgesuch der Ukraine beantworten. Der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster geht davon aus, dass es eine ernst gemeinte Beitrittsperspektive für das Land geben wird – jedoch kein beschleunigtes Verfahren.
von Benedikt Dittrich · 29. Mai 2022
Die Ukraine gehört nach Europa, sagt die SPD. Allerdings muss sie dieselben Kriterien erfüllen, wie alle anderen Beitrittskandidaten auch.
Die Ukraine gehört nach Europa, sagt die SPD. Allerdings muss sie dieselben Kriterien erfüllen, wie alle anderen Beitrittskandidaten auch.

Einen schnellen EU-Beitritt wird es für die Ukraine wohl nicht geben. Aber gibt es überhaupt einen festen Zeitrahmen für Beitrittsverhandlungen, Herr Köster?

Nein, die Verträge sehen keine zeitlichen Rahmen vor. Das sieht man ja beispielsweise an der Türkei, die schon lange den Kandidatenstatus hat, ohne dass es da zu substanziellen Fortschritten kommt. Die Frage eines beschleunigten Zugangs war bisher auch nicht vorgesehen, da fehlt es an dem politischen Willen.

Hat sich daran seit dem Beitrittsantrag der Ukraine etwas geändert?

Da trifft tatsächlich die Formulierung der „Zeitenwende“ zu. Die Ukraine hat den Antrag auch mit Blick auf ihre Sicherheitsinteressen gestellt. Deswegen ist das jetzt auf der politischen Agenda weit nach vorne gerückt. Wir wissen, dass Russland versucht, im Westbalkan Einfluss zu nehmen. Wir sehen das in Bosnien-Herzegowina, in Serbien. Russland versucht, diese Regionen zu destabilisieren und sieht darin ein Einfallstor, auch die EU zu destabilisieren.

Aus meiner Sicht sind die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien so weit fortgeschritten, dass jetzt Beitrittsverhandlungen dringend beginnen müssten. Das wäre ein deutliches Signal gegenüber den anderen Balkanstaaten – vor allem gegenüber den Menschen dort: Dass es eine Perspektive gibt, die nicht ins Unendliche gestreckt werden muss.

Sind die Bedenken von Staaten, die Beitrittsverhandlungen bisher gebremst haben, damit vom Tisch?

Ich glaube, es gibt innerhalb der EU die ernsthafte, gemeinsame Absicht, den Staaten des Westbalkans, aber auch der Ukraine, eine Perspektive zu eröffnen, dass sie Mitglied der Europäischen Union werden können. Aber es gibt vielleicht unterschiedliche Einschätzungen bei den Kriterien. Zum Beispiel, wie strikt man mit den gesetzlichen Regelungen umgeht. Auch in der EU gibt es Länder, die Probleme mit Rechtsstaatlichkeit, Medienvielfalt und Pressefreiheit haben. Da sollten wir aufpassen, dass wir die eigenen Standards, die wir in der EU haben, nicht verwässern. Wir brauchen eine Balance: Auf der einen Seite müssen die Kopenhagener Kriterien erfüllt werden, auf der anderen Seite müssen auch europäische Sicherheitsinteressen mitbedacht werden.

Wann ist aus Ihrer Sicht also mit einem neuen EU-Mitglied zu rechnen?

Aus meiner Sicht sind die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien am weitesten fortgeschritten. In fünf oder sechs Jahren könnten wir da gut vorankommen, wenn sich dort nichts signifikant ändert. Das wäre auch ein wichtiges Signal an die anderen Balkanstaaten, dass es sich lohnt, sich in Richtung Europa zu bewegen. Aber da gibt es noch viele Hausaufgaben zu erledigen.

Wenn die Ukraine ähnlich lange warten muss: Kann die EU dem Land in der Zwischenzeit vielleicht etwas anderes anbieten?

Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass man entweder in der EU ist oder draußen. Macron hat zum Beispiel den Vorschlag einer europäischen politischen Gemeinschaft gemacht, wo Staaten hinzugezählt werden, die einen EU-Beitritt beantragt haben. Darüber sollte man finde ich nachdenken.

Die Ukraine hat ja vor allem zwei Interessen: Erstens, dass das Land wirtschaftlich nach diesem schrecklichen Krieg wieder aufgebaut wird. Das wird gerade auf dem Weltwirtschaftsforum diskutiert und das halte ich für sehr gut. Die EU sollte da auch die Federführung übernehmen. Zweitens geht es um die Sicherheitsinteressen der Ukraine. Da ist auch die Europäische Union gefordert. Beides könnte Teil eines Annäherungsprozesses sein, welche Überschrift dieser Prozess auch hat.

Für uns als S&D-Fraktion im Europaparlament ist aber ganz wichtig: Man darf keine falschen Erwartungen wecken. Es darf nicht nur um Symbolpolitik gehen. Und alle Verbesserungen, die jetzt im Verhältnis zwischen der Ukraine und der Europäischen Union erreicht werden, müssen das Ziel haben, das Leben der Menschen in der Ukraine zu verbessern. Auch die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien sollte deswegen im Interesse der Ukraine sein.

Wie realistisch ist der Beginn solcher Verhandlungen aktuell, mitten im Krieg?

Das scheint mir unrealistisch zu sein. Es wird im Juni eine Antwort der Kommission auf den Antrag der Ukraine geben, die Antwort werden wir auch im Europaparlament diskutieren. Wichtiger ist gerade, dass es eine sozial-ökonomische Perspektive für die Ukraine gibt. Dafür braucht es dieses Aufbauprogramm. Das muss jetzt angegangen werden.

Wie groß ist überhaupt der Einfluss des Parlaments auf den EU-Beitrittsprozess?

Es gibt jährliche Berichte über den Stand der Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten, die wir im Parlament diskutieren. Und natürlich muss das Parlament auch über eine EU-Mitgliedschaft abstimmen. Das ist also der unmittelbare Einfluss des Parlaments. Letztlich hat aber der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs das letzte Wort. So sind die Verträge gestrickt und ich denke, das ist ein Missverhältnis. Das Prinzip der Einstimmigkeit müssen wir an dieser Stelle überwinden. Qualifizierte Mehrheiten bei solchen Abstimmungen wären besser, um die EU auch außenpolitisch handlungsfähiger zu machen. Aber erstmal ist jetzt die EU-Kommission gefragt.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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