Woran die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition noch scheitern könnte
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Die Ampel geht voll ins Risiko. Schon am Freitag soll der Bundestag das neue Wahlrecht beschließen. Linke und CSU haben bereits Verfassungsklagen angekündigt. Vor allem wegen der kurzfristig gestrichenen Grundmandatsklausel könnten Klagen beim Bundesverfassungsgericht Erfolg haben. Selbst der SPD-nahe Rechtsprofessor Franz Mayer spricht von „Wahlrechts-Roulette“.
Ziel: Verkleinerung des Bundestags
Allgemein akzeptiertes Ziel der Reform ist die Verkleinerung des Bundestags. Umstritten sind aber die geplanten Mittel der Ampel. Damit keine Überhangmandate mehr entstehen, soll jede Partei nur noch so viele Sitze bekommen, wie ihrem Zweitstimm-Ergebnis entspricht. Die Wahlkreis-Sieger mit den niedrigsten Prozent-Anteilen gehen deshalb leer aus. Dagegen protestierten CDU/CSU schon seit Monaten. Es verstoße gegen das Demokratieprinzip, dass ein Erststimmen-Sieger im Wahlkreis kein Mandat erhalte. Überhangmandate haben bisher vor allem CDU/CSU und SPD erhalten. Deren Wegfall betrifft aber alle Parteien, weil es auch keine Ausgleichsmandate mehr gibt.
Erst seit wenigen Tagen ist bekannt, dass die Ampel auch die Grundmandate-Klausel streichen will. Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen, können trotzdem entsprechend ihrem Wahlergebnis in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate geholt haben. Davon profitiert derzeit die Linke, die bei der letzten Wahl mit 4,9 Prozent der Stimmen dank dreier Direktmandate doch mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Fast wäre auch die CSU mit bundesweit 5,2 Prozent der Stimmen auf die Grundmandate-Klausel angewiesen gewesen.
Verfassungsklage angekündigt
Gegen den Wegfall der Grundmandatsklausel wettern daher vor allem Linke und CDU/CSU. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem „brutalen Angriff auf die Linke“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einer „Attacke auf die Demokratie“. CDU/CSU-Fraktions-Chef Friedrich Merz sprach von einer „Manipulation des Wahlrechts“. Der Linke Bartsch kündigte bereits eine Verfassungsklage an. Auch Söder drohte mit dem Gang nach Karlsruhe. Er bräuchte dazu nur die bayerische Landesregierung. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag will erst später über eine Verfassungsklage entscheiden.
Grundsätzlich hat der Gesetzgeber im Wahlrecht relativ viel Gestaltungsspielraum. Im Grundgesetz steht nicht, nach welchem Wahlsystem der Bundestag gewählt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht zog daraus den Schluss, dass der Bundestag bei der Festlegung des Wahlsystems auch ganz mit den bisherigen Traditionen brechen kann. So könnte er zum Beispiel nach englischem System eine Mehrheitswahl einführen, bei der nur noch die Wahlkreisgewinner ein Mandat erhalten. Er könnte aber auch ein reines Verhältniswahlrecht vorschreiben, bei dem es keine Wahlkreise mehr und nur noch Parteilisten gibt.
Bundesverfassungsgericht entscheidet
Dass auch Mischformen zulässig sind, hat das Bundesverfassungsgericht 2012 ausdrücklich festgehalten. In der Aufzählung zulässiger Wahlformen findet sich auch „eine Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte Sitzverteilung unter angemessener Gewichtung der Direktmandate“. Das ist ungefähr das, was die Ampel im Kern plant. Nach ihrem Plan wäre für den Wahlkreis-Gewinner zwar kein Mandat garantiert, letztlich würden aber wohl nur ein, zwei Dutzend von 299 Wahlkreis-Gewinnern leer ausgehen. Mit dieser Reform hätte die Ampel das Bundesverfassungsgericht wohl nicht fürchten müssen.
Anders dürfte es beim Wegfall der Grundmandatsklausel aussehen. Das Argument der Ampel, dass die Klausel ein „Systembruch“ sei, dürfte Karlsruhe nicht überzeugen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht die Grundmandatsregelung 1997 ausdrücklich gebilligt. Schließlich könnten so „besondere Anliegen“ der Wähler*innen berücksichtigt und integriert werden.
Akzeptanz der Demokratie
Damit war zwar nur gesagt, dass die Grundmandatsklausel zulässig, also nicht verfassungswidrig ist. Doch das Bundesverfassungsgericht achtet auf die Akzeptanz der Demokratie und auch seiner Urteile. Es ist nur schwer vorstellbar, dass das Gericht eine Regelung akzeptiert, bei der die CSU in Bayern zwar in 45 Wahlkreisen die meisten Stimmen holt, am Ende aber keine:n einzigen Bundestagsabgeordnete:n erhält, weil sie bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erhielt.
Um das zu verhindern, könnte das Bundesverfassungsgericht eine Grundmandatsklausel als notwendiges Korrektiv für die wahl-verzerrende Fünf-Prozent-Hürde vorschreiben - zwar sicher nicht ab drei Direktmandaten wie derzeit, aber vielleicht ab 15 oder 20 gewonnenen Wahlkreisen. Klagen gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel könnten also eher der CSU mit ihren 45 Direktmandaten nutzen als der Linken mit ihren nur drei direkt gewonnenen Wahlkreisen.