Inland

#Wirsindmehr und #unteilbar: Tausende demonstrieren gegen Nazis

Am Wochenende sind bundesweit zigtausende Menschen für eine humane Flüchtlingspolitik auf die Straße gegangen. Zu den europaweiten Protesten hatte die internationale Organisation Seebrücke im Rahmen einer Aktionswoche gegen Rechts aufgerufen.
von Johanna Schmeller · 3. September 2018

Orange prägte am Wochenende das Straßenbild in Hamburg und Berlin. Auf Stöcken trugen Menschen Rettungswesten durch ihre Städte. Vor dem Hamburger Rathaus legten sich bei der Endkundgebung eines insgesamt rund 16.000 Demonstranten umfassenden Marsches die Teilnehmer auf den Boden – "die-in" nennt man das, in Anlehnung an Sitzblokaden (“sit-ins“) – um auf die Toten im Mittelmeer hinzuweisen. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin skandierten rund 2.500 Menschen für private Seenotrettung. Musik brüllte aus Lautsprechern, „Schrei nach Liebe“ von den „Ärzten“ wummerte auf dem Berliner Molkenmarkt aus den Boxen, in Hamburg „Feine Sahne Fischfilet“. Auch in München, Kassel, Chemnitz und Warschau wurde  demonstriert.

Die Forderung der Bewegung: Berlin soll ein sicherer Hafen für Gerettete werden, so, wie es andere Städte – Palermo und Barcelona, aber auch Köln, Düsseldorf und Bonn – längst angeboten haben. Zudem müssten in Deutschland stärkere politische Anstrengungen unternommen werden, sichere und legale Fluchtwege nach Europa zu schaffen und Visa- und Bleiberechtsverfahren für Flüchtlinge einfacher zu gestalten.

Doch insgesamt geht es um noch mehr: Die Demonstrationen für eine humane Flüchtlingspolitik sind Teil der europaweiten Aktionswoche gegen Rechts „European protests - build bridges not walls". Zehntausende Menschen haben an den verschiedenen Aktionen bereits teilgenommen (weitere Demonstrationen siehe Kasten).

Das gesamte politische Mitte-links-Spektrum war bei den Aktionen ebenso vertreten wie zivilgesellschaftliche und kirchliche Akteure: SPD, Grüne, die Linke, der FC St. Pauli, Sea-Watch, Sea-Eye, der Paritätische Wohlfahrtsverband, Caritas, Diakonie und andere.

Übergriffe in Chemnitz

In Chemnitz trafen eine Woche nach der Tötung  des 35-jährigen Daniel H. bei insgesamt vier angekündigten Demonstrationen rechtes und linkes Lager aufeinander. 18 Menschen wurden verletzt, 37 Strafanzeigen wurden gestellt.

Marburger Sozialdemokraten waren aus einem Hinterhalt von Rechten überfallen und verfolgt worden. Der hessische SPD-Bundestagsabgeordnete Sören Bartol war anschließend im Internet für die Veröffentlichung des Vorfalls gezielt von rechten Trollen diffamiert worden.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil betonte in Chemnitz die Notwendigkeit, die AfD vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Nach einer aktuellen repräsentativen Umfrage teilen 57 Prozent der Bevölkerung diese Einschätzung.

Ende der Bequemlichkeit

Bundesaußenminister Heiko Maas forderte die Bürger direkt nach den Demonstrationen zu anhaltendem Engagement gegen Nazis auf. „Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breitgemacht, die wir überwinden müssen,“sagte er der „Bild am Sonntag“. „Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. Die Jahre des diskursiven Wachkomas müssen ein Ende haben.“

Die vielen Demonstranten am Wochenende zeichnen in vielen Städten ein anderes Bild. Nun geht es darum, politische Lösungen zu finden - für Deutschland, für Europa. „Wir machen weiter, weil wir momentan noch gar nicht aufhören können. Man kann Menschen nicht ertrinken lassen", sagt Ruben Neugebauer im Gespräch mit dem „vorwärts“ bei der Demonstration in Berlin. Er ist Seenotretter, seit drei Jahren fährt er aufs Meer („vorwärts“ berichtete).

Nazi-Morddrohungen gegen Politiker

„Dem barbarischen Zustand, dass tagtäglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie nicht gerettet werden können oder dürfen, muss ein Ende bereitet werden", unterstrich auch der Düsseldorfer OB Thomas Geisel (SPD) in einem früheren Interview mit dem „vorwärts“. Für sein Engagement hatte der Politiker zuvor rechte Morddrohungen erhalten. „Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung, hier eine europäische Lösung zu finden – solange diese allerdings nicht gefunden worden ist, können die betroffenen Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen werden.“

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