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Warum die DGB-Jugend mit großen Sorgen auf den Ausbildungsmarkt blickt

Bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen gibt es aktuell ein absolutes Rekordtief. Deshalb fordert DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker neben der Ausbildungsgarantie der Ampel auch eine Ausbildungsumlage, die alle Betriebe bezahlen sollen.
von Vera Rosigkeit · 2. Mai 2022
Ein Bild, das immer seltener wird: Auszubildende in Metallberufen, hier im Ausbildungszentrum von MAN in Oberhausen.
Ein Bild, das immer seltener wird: Auszubildende in Metallberufen, hier im Ausbildungszentrum von MAN in Oberhausen.

Wie geht es jungen Menschen nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie?

Die junge Generation hat es besonders getroffen. Wenn man gerade auf dem Weg ist, eine Zukunft zu planen und dann zwei Jahre auf „hold“ gedrückt wird, ist das eine schlimme Erfahrung. Das sind Jahre, in denen wir uns nicht groß entfalten konnten. Wenn ich beispielsweise 2019 eine Ausbildung begonnen habe, die ich in diesem Jahr abschließe, hatte ich nur ein einziges halbes Jahr lang Ausbildung ohne Pandemie.

Wie sehen aktuell die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt aus?

Wir blicken mit großen Sorgen auf die Ausbildungsmarktsituation. Einer von zehn Ausbildungsplätzen ist in der Corona-Krise weggebrochen. Mit 476.100 abgeschlossenen Verträgen haben wir ein absolutes Rekordtief erreicht. Gleichzeitig sehen wir, dass mehr junge Menschen eine Ausbildung machen würden, leider fehlen gute Angebote. 68.000 junge Menschen hängen in den Warteschleifen zwischen Schule und Ausbildung fest. Auch für sie brauchen wir gute Angebote. Deshalb fordern wir eine Ausbildungsgarantie und auch eine Ausbildungsumlage, damit mehr betrieblich ausgebildet werden kann.

Einerseits ist die Anzahl der Verträge rückläufig, andererseits bleiben Ausbildungsangebote unbesetzt. Wie erklärt sich das?

Was die unbesetzten Ausbildungsangebote angeht, muss man genauer hinschauen. Es gibt Angebote, wo Ausbildungsqualität und auch die nachfolgenden Perspektiven schlecht sind. Auch gibt es Regionen in Deutschland, wo es gar keine Angebote gibt. Wiederum ist ein Mehr an Angeboten auch gut. Denn in Deutschland gibt es eine Berufswahlfreiheit, die sich laut Bundesverfassungsgericht nur realisieren lässt, wenn es ein auswahlfähiges Angebot gibt. Um das sicherzustellen, braucht es statistisch betrachtet 112,5 Ausbildungsplätze auf 100 Menschen, die eine Ausbildung suchen.

Ist die duale Ausbildung noch fit für die Zukunft?

Wenn in den Berufsschulen immer noch mit Kreide geschrieben wird, ist das sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Die Corona-Pandemie wirkte hier wie ein Brennglas. Die Lehrkräfte haben enorm viel geleistet, doch die Ausstattung ist an vielen Punkten miserabel. Und beispielsweise hatte niemand eine Antwort darauf, wie aus der Ferne ein gewerblich-technischer Mechatroniker auszubilden ist. Auch fehlt es in den Berufsschulen an modernen Geräten, oft wird zum Beispiel an seit 15 Jahren veralteten CNC-Fräsen gearbeitet. Hier muss Politik einen Schwerpunkt setzen: die Berufsschulen müssen besser ausgestattet werden. Und die Ausbildungen müssen fit gemacht werden für die Zukunft, denn die Berufsbilder ändern sich.

Wird es mit der Ampel-Koalition vorangehen?

Wir haben die klare Erwartung an die Regierung und die SPD, dass sie einen Fokus auf die betriebliche Ausbildung legt. Im Koalitionsvertrag ist die Ausbildungsgarantie festgeschrieben. Das ist ein großer Erfolg, für den wir lange gekämpft haben. Die Frage ist nur, wie das finanziert werden soll. Unsere Forderung nach einer Umlage steht nämlich nicht im Vertrag. Danach zahlen alle Betriebe in eine Art Zukunftsfonds ein, aus dem die Betriebe unterstützt werden, die mehr ausbilden und auch außerbetriebliche Ausbildungszentren gestärkt werden. Wir brauchen mehr betriebliche Ausbildungsplätze. Auch weil wir nun die Geflüchteten aus der Ukraine in das Ausbildungssystem integrieren wollen.

Was kann bei der Integration von ukrainischen Geflüchteten helfen?

Als 2015 viele junge Menschen nach Deutschland gekommen sind, haben wir gesehen, dass gerade über das duale Ausbildungssystem viele Geflüchtete integriert werden können. Das Unikum besteht ja darin, dass schulische und praktische Ausbildung im Betrieb miteinander verzahnt sind. Für Menschen, die neu in ein Land kommen, ist das eine gute Möglichkeit einzusteigen. Einerseits haben sie in der Schule den Fokus auf den Spracherwerb, andererseits können sie im Betrieb zeigen, was sie können. Die Personal- und Betriebsräte und die Jugendauszubildendenvertretungen leisten einen unglaublich guten Job, um allen Menschen eine Chance zu geben, egal woher sie kommen.

Was fordert die DGB-Jugend für die Zukunft?

Wir haben klare Erwartungen an die Bundesregierung. Konkret geht es um drei Punkte. Erstens: Wir freuen uns, dass der Mindestlohn angehoben wird. Ein großer Erfolg der Gewerkschaften und der SPD. Leider hat man einen Fehler, der bei der Einführung gemacht wurde, nicht korrigiert: Die Ausnahme vom Mindestlohn für minderjährige Beschäftigte. Das ist eine Beleidigung für jungen Menschen und betrifft beispielsweise Schülerinnen und Schüler. Wir fordern, die Ausnahme für Minderjährige zu streichen.

Zweitens fordern wir, dass jeder junge Mensch ein individuelles Recht auf einen Ausbildungsplatz hat, finanziert durch eine Ausbildungsplatzumlage, wie schon besprochen.

Im dritten Punkt geht es um das Recht dual Studierender. Das betrifft junge Menschen, die an der Uni sind und im Betrieb – davon gibt es nämlich immer mehr. Allerdings gilt für sie – anders als für die Auszubildenden – nicht das Berufsbildungsgesetz. Damit haben sie keine gesetzlichen Schutzrechte und sind der Willkür von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern ausgesetzt. Das muss ich ändern.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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