Inland

Vorbild Niederlande? Wie das Homeoffice für alle ein Gewinn wird

Viele Beschäftigte haben während der Pandemie von zu Hause aus gearbeitet und möchten es zumindest zeitweise auch weiterhin tun. Dafür ist jedoch ein gesetzlicher Rahmen notwendig, damit das Homeoffice nicht zur Selbstausbeutung wird.
von Vera Rosigkeit · 11. Mai 2022
Arbeiten im Küchentisch: Für viele Beschäftigte gehört der Wechsel zwischen Home- und Office mittlerweile zum Berufsalltag.
Arbeiten im Küchentisch: Für viele Beschäftigte gehört der Wechsel zwischen Home- und Office mittlerweile zum Berufsalltag.

In erster Linie positiv fallen die Erfahrungen von Beschäftigten im pandemiebedingten Homeoffice aus. Für 77 Prozent der Befragten einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung erleichtert Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim sogar effektiver organisieren zu können. „Für viele Befragten ist Homeoffice ein charmantes Arrangement“, erklärt Yvonne Lott, Leiterin des Referats Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI). Und das schon allein durch das Einsparen von Fahrzeiten. „Wenn ich ein, zwei Stunden am Tag durch den Wegfall der Anfahrt zum Arbeitsplatz einsparen kann, verkürzt das meinen Arbeitstag enorm“, betont sie.

Die Ergebnisse der Studien brachten aber auch Nachteile zum Vorschein. Der WSI-Expertin zufolge nutzen Frauen im Vergleich zu Männern, wenn sie im Homeoffice arbeiten, zusätzlich mehr Zeit für Sorgearbeit. „Das liegt auch daran, dass Frauen noch immer die primären Ansprechpartnerinnen für die Kinder sind.“

Ein Gesetz scheiterte an der Union

Mehr als 25 Prozent aller Erwerbstätigen haben während der Pandemie zeitweise oder ausschließlich mobil im Homeoffice gearbeitet. Damit Beschäftigte die modernen Möglichkeiten zum ortsflexiblen Arbeiten auch nach der Pandemie nutzten können, legte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Oktober 2020 den Entwurf für ein „Mobile-Arbeit-Gesetz“ vor. Arbeitnehmer*innen sollten dort, wo es möglich ist, einen gesetzlichen Anspruch auf mindestens 24 Tage mobiles Arbeiten im Jahr erhalten. Das Gesetz scheiterte am damaligen Koalitionspartner CDU/CSU.

Jetzt wäre es von Vorteil. Denn seit die coronabedingte Empfehlung für die Arbeit im Homeoffice aufgehoben ist, fragen sich viele Erwerbstätige, wie es mit der mobilen Arbeit weitergeht. Zwar hätten einige Betriebsräte dort, wo die Sozialpartnerschaft gut ist, Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten gestrickt, die bereits wirken, sagt Kerstin Jerchel, Bereichsleiterin Mitbestimmung in der ver.di-Bundesverwaltung. Auch versuche ver.di, die Lücke an betrieblichen Regelungen über sogenannte Digitalisierungstarifverträge zu schließen. Doch „wir stellen fest, dass sich Arbeitgeber*innen insgesamt zum Thema Homeoffice immer noch ein bisschen sperrig verhalten“. Aus diesem Grund fordern Gewerkschaften ein Initiativrecht für Betriebsräte, denn bislang können die zwar bei der inhaltlichen Ausgestaltung mobiler Arbeit mitbestimmen, bleiben aber bei deren Einführung weiterhin außen vor. Jerchel: „Dies muss geändert werden.“

Die Niederlande als Vorbild?

Einen modernen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten will auch Hubertus Heil. Dieser soll Regeln beinhalten, die Beschäftigte im Homeoffice schützen, es ihnen aber auch ermöglichen, mal eine Zeit im Homeoffice zu arbeiten, ohne auf den guten Willen der Arbeitgeber*innen angewiesen zu sein. Dabei orientiert sich der Arbeitsminister am Beispiel der Niederlande. „Dort gibt es seit 2015 die Möglichkeit, mit seinem Chef oder seiner Chefin den Wunsch nach Homeoffice zu besprechen“.

Tatsächlich garantiert das niederländische Flexi-Arbeitsgesetz zwar keinen Rechtsanspruch auf Homeoffice, aber Arbeitnehmer*innen haben das Recht, von Ihrem Arbeitgeber zu verlangen, dass sie von zu Hause aus arbeiten dürfen. Dieser kann nur ablehnen, wenn er betriebliche Gründe vorweisen kann, erklärt Wilco Veldhorst vom niederländischen Gewerkschaftsbund FNV. Nicht alle Arbeitgeber begrüßen diese Idee, noch immer gebe es Vorbehalte, dass Beschäftigte im Homeoffice nicht „richtig arbeiten“. Dabei sei das Gegenteil der Fall, betont Veldhorst.

Wenn das Abschalten schwer fällt

Studien belegten, dass oft Mehrarbeit geleistet werde. Die Gewerkschaft reagiere darauf, indem sie zunehmend in Tarifverträgen ein Recht auf Nichterreichbarkeit einfordere, sagt er. Dass es im Homeoffice zu mehr Überstunden kommt und den Beschäftigten das Abschalten von der Arbeit schwerer fällt, belegen auch Böckler-Studien. Die Gefahr, kein Ende des Arbeitstages zu finden, sei dabei nicht neu, sondern bereits Ergebnis von Befragungen, die vor der Pandemie gemacht wurden, weiß Yvonne Lott.

Sie geht davon aus, dass wir es in der Zukunft mit einer Arbeitswelt zu tun haben, in der „hybrid gearbeitet“ wird. „An ein paar Tagen in der Woche werden die Beschäftigten von zu Hause oder anderen Orten arbeiten können und an ein paar Tagen ins Büro kommen.“

Die Mischung macht’s

Kerstin Jerchel begrüßt die Kombination aus Homeoffice mit Präsenztagen. „So lassen sich positive Eigenschaften des Homeoffice bewahren, wie der Wegfall langer Anfahrtswege, gleichzeitig bleibt die Anbindung zum Betrieb bestehen, die ebenfalls wichtig ist.“ Sie plädiert ebenso wie Yvonne Lott für einen gesetzlichen Anspruch auf mobiles Arbeiten. Nach Lott gebe es so für die Sozialpartner mehr Anreize, weitere Vereinbarungen zum Homeoffice zu treffen. Gleichzeitig könnte dieses Recht sicherstellen, „dass Beschäftigte, die nicht im Homeoffice arbeiten können, kompensiert werden“.

Unternehmen, die wieder zurückgehen wollen zum Status vor der Pandemie, werden es ihrer Meinung nach ohnehin schwer haben. Denn laut der Böcler-Stiftung rechnen rund 70 Prozent der Beschäftigten damit, dass das Homeoffice auch in Zukunft verbreitet sein wird. Homeoffice sei jetzt in der Welt, so Lott. „Und wenn es schon da ist, sollte man es auch gut ausgestalten.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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