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Tarifbindung, Tariftreue: Wofür SPD und ver.di gemeinsam kämpfen

Die Tarifbindung in Deutschland sinkt, Tarifverträge und Tariflöhne werden seltener. Den Trend wollen SPD und Gewerkschaften umkehren, Unternehmen zu Verhandlungen zwingen. Damit treffen sie in der Gesellschaft einen Nerv, wie eine Umfrage zeigt.
von Benedikt Dittrich · 7. September 2021
Verdi-Mitglieder demonstrieren im Juli in Dortmund für Tarifverträge im Einzelhandel.
Verdi-Mitglieder demonstrieren im Juli in Dortmund für Tarifverträge im Einzelhandel.

Vorige Woche veröffentlichte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine repräsentative Umfrage unter Wähler*innen. Ein Thema: Tarifverträge in der Wirtschaft. Hintergrund ist die seit Jahren anhaltende sinkende Tarifbindung. Es steigen also immer mehr Unternehmen aus solchen Vertragssystemen zwischen zwischen Arbeitgeber-Verbänden und Gewerkschaften aus und verhandeln öfter individueller über Löhne und Arbeitsregelungenwie Urlaub und Arbeitszeiten.

Diese Entwicklung wird nach Auswertung der Antworten überwiegend negativ bewertet – laut ver.di gleichermaßen in Ost- und Westdeutschland. „Tarifverträge und deren Gültigkeit werden in Deutschland als schützenswert wahrgenommen“, bilanziert die Gewerkschaft in der Auswertung der Umfrage. Wenig überraschend: Besonders ausgeprägt war die Zustimmung zu diesem Punkt bei den Befragten, die als Partei die SPD bevorzugen.

Hält dieser Trend an, befürworten die Befragten außerdem mehr staatliche Eingriffe in den Bereich, der früher den Verhandlungsparteien überlassen war.

Tarifbindung: Für SPD und ver.di Wahlkampfthema

Das trifft die Punkte, für die sich die SPD in den vergangenen Jahren verstärkt eingesetzt hat – angefangen beim Mindestlohn bis hin zur Möglichkeit, Tarifverträge für bestimmte Branchen als allgemeinverbindlich zu erklären. Zuletzt hatte Arbeitsminister Hubertus Heil das für die Pflegebranche versucht – der Versuch scheiterte an großen Arbeitgeber*innen in diesem Bereich, die katholische Caritas war eine der Institutionen, die den ausgehandelten Tarifvertrag ablehnten und damit eine Allgemeingültigkeit verhinderten.

ver.di-Chef Frank Werneke sieht unter anderem dringenden Handlungsbedarf im öffentlichen Sektor bei der Vergabe von Aufträgen. Außerdem bedauert er den Trend der Tarifflucht: „Es gibt bei den Arbeitgebern kein Bestreben mehr, für mehr Tarifverträge einzutreten“, klagte er in der vergangenen Woche im Gespräch mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.

Gewerkschaften wie ver.di sehen in diesem Bereich weiterhin ihre Hauptverantwortung, gleichzeitig bitten sie aber auch um staatliche Unterstützung, wenn es um die Arbeit der Zukunft, Tarifflucht und faire Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer*innen geht – auch im Sinne eines fairen Wettbewerbs auf dem Markt.

Übereinstimmungen bei Partei und Gewerkschaft

„Auch die Politik ist gefordert“, formuliert ver.di es in einem entsprechenden Papier zur Bundestagswahl und nennt vier konkrete Punkte:

  1. Tariftreueregelungen: Bei Aufträgen der öffentlichen Hand sollen nur Unternehmen berücksichtigt werden, die Tariflöhne zahlen, „In den meisten Bundesländern gibt es das schon – und das brauchen wir auch auf der Bundesebene“, fordert ver.di.
  2. Bestehende Tarifverträgen für ganze Branchen als allgemeinverbindlich erklären
  3. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft attraktiver gestalten, indem Mitgliedsbeiträge besser von der Steuer abgesetzt werden können
  4. Bessere Bindung an Tarifverträge auch dann, wenn Arbeitgeber*innen aus dem entsprechenden Verband ausgetreten sind

Davon finden sich bei der SPD bereits mehrere Punkte im Zukunftsprogramm zur Bundestagswahl. Konkret wird es im dritten Kapitel des Wahlprogramms, das unter anderem folgende Forderungen und Vorschläge enthält:

  • Bundestariftreuegesetz schaffen
  • Tarifverträge sollen einfacher für allgemeinverbindlich erklärt werden können
  • Tarifbindung stärken

Dass das nicht nur im Programm steht, sondern auch im Wahlkampf eine Rolle spielt, hatte auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz jüngst bekräftigt: „Ich wünsche mir mehr Tarifverträge in Deutschland“, erklärte er im Gespräch mit ver.di-Chef Frank Werneke und betonte außerdem, dass er schon als Anwalt für Arbeitnehmer*innen einen Rückgang der Tarifbindung in Deutschland wahrgenommen habe. „Ich empfinde das als eine Verschlechterung des sozialen Modells, deshalb wünsche ich mir mehr Partnerschaften und Tarifverträge.“ Dafür zeigte Scholz auch auf der Straße Präsenz, als er am Freitag die Streikenden bei Amazon besuchte und sich über ihre Forderungen informierte.

Dort, wo der Staat Einfluss habe, könne man auf Tarifverträge bestehen, sagte Scholz mit Blick auf die Idee des Tariftreuegesetzes. Ein Bereich, der aus Sicht von ver.di auch erheblichen Einfluss hat, was auch Olaf Scholz  bestätigte: „Es geht um 400 Milliarden Euro im Jahr“, so Werneke mit Blick auf die öffentliche Auftragsvergabe. „Das ist ein riesiger Hebel, wenn er dafür eingesetzt wird, Tarifbindung voranzutreiben.“

Das Gespräch zwischen Frank Werneke und Olaf Scholz als Video bei Facebook.

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